<![CDATA[Elizei - Iran 2018]]>Sun, 28 Apr 2024 21:44:20 +0200Weebly<![CDATA[Hijab oder: Die Schlange am Hals]]>Sun, 09 Sep 2018 22:00:00 GMThttp://www.elizei.ch/iran-2018/hijab-oder-die-schlange-am-halsSag den gläubigen Frauen, sie sollen die Augen niederschlagen, und sie sollen darauf achten, dass ihre Scham bedeckt ist und den Schmuck, den sie tragen, niemandem offen zeigen, außer ihrem Mann, ihrem Vater, ihrem Schwiegervater, ihren Söhnen, ihren Stiefsöhnen, ihren Brüdern, den Söhnen ihrer Brüder und ihrer Schwestern, ihren Frauen, ihren Sklavinnen, den männlichen Bediensteten, die Keinen Geschlechtstrieb haben, und den Kindern, die noch nichts von weiblichen Geschlechtsteilen wissen.
Im Iran gelten strenge Kleidervorschriften - nicht ganz so streng wie in Saudi Arabien oder bei den Taliban in Afghanistan mit Niqab oder Burka als Ganzkörperverschleierung mit bedecktem Gesicht - aber Haare, Hals, Ausschnitt, Arme und Beine sowie die Körperkonturen müssen bedeckt sein. Dies kann entweder mit dem grossen Umhang, dem Tschador, erreicht werden oder mit langen Hemd, langer Hose und einem Schal über dem Kopf. «Tschador» heisst auf persisch übrigens «Zelt» - und wer jemals eine dieser kleinen meist alten Frauen durch die Gassen hat huschen sehen, weiss auch warum. Der Tschador wird über den Kopf und um den ganzen Körper gezogen und unter den Ellbogen eingeklemmt und lässt - so er denn gross genug ist - nur Gesicht und Füsse frei. Werden die Arme benötigt, so etwa beim Einkaufen, klemmt sich Frau die Enden des Tschadors häufig kurzerhand zwischen die Zähne. Den Tschador gibt es vornehmlich in schwarz, aber auch andere Farben sind erhältlich, so weiss zum Beispiel oder grau oder beige oder blau oder eine dieser Farben mit kleinen Blümchen oder Tupfen. Es gibt die Tschadore speziell geschneidert und mit Gummiband für die Kopfbefestigung versehen oder aber einfach als Stoffbahn, die selber von Frau zugeschnitten und gesäumt wird. Der Tschador ist für alle Frauen, die in öffentlichem Dienst mit Kundenkontakt stehen, Pflicht. Ebenfalls herrscht Tschadorpflicht in vielen Moscheen. Und meist zeihen sich gläubige Frauen den Tschador auch über, wenn sie - selten in der Moschee aber um so häufiger in der Privatsphäre zu Hause - beten. Oft wird der Tschador aber auch übergeworfen, wenn es schnell gehen muss und das Anlegen von Mantel und Schal zu lange dauern würde. Dann etwa, wenn es an der Türe klingelt und Frau nicht weiss, wer davor steht. Oder wenn kurz etwas eingekauft werden soll wie zum Beispiel Sabzi, das häufig von Verkäufern, die mit ihrer Ware durch die Strasse fahren und sie über einen - viel zu laut eingestellten - scheppernden Lautsprecher ausrufen.
 
Ältere Frauen tragen neben dem Tschador meist einen „Manteau“, einen in verschiedenen Farben und Schnitten erhältlichen leichten, aber nicht durchscheinenden, Mantel und ein unter dem Kinn gebundenes Kopftuch. Darunter lange Hosen und geschlossene Schuhe. Jüngere Frauen und vor allem junge Frauen hingegen tragen selten ein Kopftuch, sondern einen Schal. Wo in 2010 die Mäntel noch geschlossen, dafür aber nur mit 3/4 langen Ärmeln und eng an den Körper geschnitten waren, trägt Frau den Mantel neuerdings offen und luftig geschnitten. Und die Hosen wurden vielerorts durch enge Jeans oder Leggins ersetzt, genauso wie die ehemals immer geschlossenen Schuhe heute häufig durch offene Sandaletten ersetzt wurden. Alles eigentlich nicht erlaubt, aber immer wieder ausgetestet: wie viel kann sich Frau erlauben, ohne von den Sittenwächtern angehalten und ermahnt zu werden.
 
Mantel und Schal werden auch nicht wirklich wie einen islamischen Hijab getragen, sondern sind zu modischen Accessoires geworden: Es gibt sie in den verschiedensten Farben und Materialien, elegant, verspielt, bunt gemustert, gestreift, gepunktet und getupft und immer genu abgestimmt mit dem Rest der Kleidung. Den Schal trägt Frau locker über den Hinterkopf gelegt. Oder noch weiter hinten einfach über die hochgesteckten Haare gehängt und ganz offen getragen oder einseitig elegant über die eine Schulter gelegt, weniger um Hals und Ausschnitt zu bedecken als um diese subtil zu betonen. Immer häufiger wird er auch nicht mehr hochgezogen, sollte er einmal in den Nacken rutschen...
 
Natürlich habe ich auch verschiedene Schals dabei, um den Kleidervorschriften zu genügen. Sorgfältig abgestimmt auf die langen, weiten Hemden, die mir den Manteau ersetzen. Bei über vierzig Grad Hitze ist es mir zu heiss, Tshirt und Mantel zu tragen - da sind mir die weiten, leichten Hemden viel lieber. Und natürlich führe ich einen steten Kampf mit meiner Kopfbedeckung: Vor dem Spiegel elegant drapiert, rutscht mein Schal schon nach wenigen Sekunden wieder nach hinten, verfangen sich die Enden an meiner Tasche, würgen sie mich am Hals: Meine Schals führen alle ein geheimnisvolles, eigenwilliges Eigenleben, scheinbar mit dem einzigen Ziel, mir vom Kopf zu rutschen und sich um meinen Hals zu schlingen wie eine Würgeschlange.
 
Bei windigem Wetter ist mein Tuch kaum zu bändigen – windiges Wetter bietet aber häufig amüsante oder auch poetische Einblicke in den Kampf anderer Frauen mit ihrer Körperbedeckung. Im windigen Wetter von Rudbar und Manjil hatte ich dazu reichlich Gelegenheit: Da war zum Beispiel diese alte Frau im schwarzen Tschador, den der Wind frech hochgehoben hat und den Blick freigab auf gewagte Leggins mit Leopardenmuster. Oder Sarah, die auf den Anhöhen von Rudbar bei den Windturbinen ihren breiten Schal in einem unbeobachteten Moment weit über den Kopf hielt und der Wind Hijab, Haare und Kleid frei wehen liess in ein Gemälde von Anmut und Kraft und Stolz als Frau zugleich…
 
2010 besuchten wir in Mazanderan eine uralte Moschee irgendwo auf dem Land, bei der Tschadorpflicht herrschte. Viele Moscheen leihen auch schon mal Tschadors aus und so ging ich zum entsprechenden Kabäuschen, um mir einen abzuholen. Nachdem ich dort mein Ansinnen vorgebracht hatte, blickte mich die Frau hinter dem Tisch zweifelnd von oben nach unten an, murmelte etwas, zupfte sich ihren Tschador zurecht und wandte sich dann zum Gestell um, wo verschiedene weisse Tschadors mit kleinen Blümchen auf die Ausleihe warteten. Sie nahm einen in die Hand, wog ihn ab, schüttelte den Kopf, wandte sich einem anderen zu, entschied sich wieder anders und wühlte weiter. Endlich schien sie zufrieden und überreichte mir das gute Stück mit einem befriedigten Lächeln: „bosorg!“. N grinste mich an: Die gute Frau stand bei meiner Körpergrösse - die in Iran ja immerhin fast dreissig Zentimeter über Normalmass hinausgeht - vor dem Problem, einen Tschador zu finden, der meine ganze Länge bedecken kann. Im Hof vor dem Eingang versuchte ich dann, das gute Stück geziemlich umzulegen - eine Bemühung, die von herumstehenden Frauen interessiert beobachtet wurde. Schliesslich erbarmten sie sich meiner (N ist bei solchen Dingen ja nicht wirklich eine Hilfe) und nahmen die Sache selber in die Hand: Sie zupften und zogen das Tuch nach links, dann wieder nach rechts, liessen mich die Enden unter die Ellbogen klemmen, traten zurück und schienen zufrieden. Tatsächlich war ich bis zu den Fussspitzen bedeckt. „Bale bale“, recht so. Derweil fing N an, ziemlich unbeherrscht zu kichern und als ich mich zu ihm umdrehte, entfuhr den hilfreichen Damen ein entsetztes Krächzen: Zwar erfüllte der Tschador von vorne betrachtet durchaus seine voll-bedeckende Aufgabe, dafür jedoch war meine Rückseite bis über das Hinterteil hinauf völlig unbedeckt!
 
1936 verbot der damalige Schah Reza Pahlevi generell das Tragen traditioneller Kleidung bei Männern und des Tschadors bei Frauen. Er wollte das Land nach türkischem Vorbild rundum modernisieren und sah in westlicher Kleidung ein Symbol der Modernisierung und im Islam deren Gegner. Auch religiöse Prozessionen zu Festen werden untersagt. Diese Verbote wurden wenn nötig auch mit Gewalt durchgesetzt. Frauen im Tschador wurden geschlagen, verhöhnt, ihnen den Stoff vom Kopf gerissen. Für viele Menschen im schiitisch geprägten Land war diese Politik des ein Angriff auf ihre innersten Werte und für die meisten Frauen im damals sehr ländlich-traditionellen Iran kam das staatlich sanktionierte Tschadorverbot einer beschämenden Entblössung gleich: viele Frauen vermieden es in der Folge sich jahrelang, überhaupt auf die Strasse zu gehen. Das Tschadorverbot wurde 1963 als nicht mehr zeitgemäss schliesslich wieder aufgehoben.
 
Vor der Revolution 1979 waren in den grösseren Städten die Strassen geprägt von modernen Frauen in den Minikleidern der siebziger Jahre. Gleichzeitig war in den ländlichen Gebieten die Zeit teilweise stehen geblieben: Die Unterschiede nicht nur zwischen Arm und Reich, sondern auch zwischen Land- und Stadtbevölkerung waren damals erheblich. So waren viele der traditionellen Männer und auch Frauen schockiert über die «Nacktheit» der modernen Frauen. Nur zur Erinnerung: Auch bei uns in Europa monierten Mütter und Väter die langen Haare der Söhne und den Tausch von Anzug und Kravatte mit engen Jeans und offenen Hemden oder die immer kürzeren Röcke und engen Pullis ihrer Töchter. Vor dem Sturz des Schahs beteiligten sich viele Frauen an den Demonstrationen und die iranische Frauenbewegung mobilisierte Tausende für die Demonstrationen für mehr Rechte und Freiheit und gegen den Schah. Kurz nach der Revolution bestand nicht nur Aufbruchsstimmung bei den männlichen politischen Aktivisten, sondern auch bei den Frauen – es wurden diverse international besetzte Veranstaltungen mit Aktivistinnen und Feministinnen aus der ganzen Welt durchgeführt.
 
Nach der Revolution 1979 war es nicht etwa so, dass sofort die islamischen Kleidervorschriften eingeführt wurden. Am Tag, nachdem der letzte Schah Mohammed Reza Pahlevi den Iran verlassen hatte, veröffentlichte die Zeitung Kayhan ein Interview mit Ayatollah Montazeri. Dieser erklärte das islamische Verständnis von «nackt» sein, bedeute das Fehlen einer Kopfbedeckung. Er plädierte für den islamischen Hijab für Frauen und die Geschlechtertrennung. Khomeini selbst liess aus seinem Pariser Exil in der gleichen Zeit verlauten, dass es in der Entscheidungsgewalt der Frauen selbst liege, ob sie einen «Schleier anziehen». Bereits kurz darauf erklärte er in einem Interview jedoch: «Fortschritt bedeutet ein vollkommener Mensch werden, nicht ob eine Frau ins Kino oder in die Disko geht. Diese Fortschritte hat euch der Schah verschafft, das war ein Rückschritt.» Und weiter «Die Frauen werden frei sein zu studieren oder richtige Sachen zu tun. Sie werden aber daran gehindert werden gegen die Sitten zu verstoßen». Der gesellschaftliche Diskurs über Frauen änderte sich weiter nach der Ankunft Khomeinis aus dem Exil und er empfing fortan demonstrativ Frauen und Männer getrennt. Ausgerechnet ein Tag vor dem Weltfrauentag, am 7.3.1979, gab er den Befehl, dass «Frauen nicht nackt in islamischen Ministerien arbeiten dürfen». Frauen durften damit zwar in staatlichen Bürokratien arbeiten, aber nicht ohne islamischen Hijab.
 
Der Druck auf die Frauen wuchs täglich. In den grösseren Städten und vor allem in Teheran gab es Demonstrationen und Kundgebungen, Frauen aller Altersklassen, Studentinnen und Schülerinnen protestierten gegen die neuen Verordnungen. Bald demonstrierten auch islamische Frauen für die Zwangsverschleierung und die Medien erhielten einen neuen Auftrag: Die Propagierung der islamischen Sitten. Im Sommer 1979 verschärfte sich der Prozess der Zwangsverschleierung durch die staatlichen «Säuberungskomitees». Sie «säuberten» staatliche und nicht staatliche Institutionen und drückten das Hijab-Gebot unerbittlich durch. Frauen gingen mit Kopftüchern zur Arbeit, da sie ihre Arbeit nicht verlieren wollten. Auf den Strassen wurden Frauen immer häufiger mit der Parole von islamistischen Männern und Frauen beschimpft: «Ja Rusari, ja tusari» was so viel bedeutet, wie «entweder Kopftuch oder ein Schlag auf den Kopf». Iranische Frauen ohne Hijab wurden auf offener Strasse angegriffen, mit Steinen beworfen, bespuckt, ihnen das Kopftuch mit Reisszwecken an der Stirne befestigt. Es gibt Berichte, wonach mancherorts gar heute noch ungenügend verschleierten Frauen Säure ins Gesicht gespritzt wird. Kopftuch und Tschador wurden ideologisiert und zum Zeichen der Loyalität zur neuen Herrschaft. Und damit umgekehrt der Verzicht auf die Bedeckung der Haare zu einem Treuezeichen zum Schah und damit als konterrevolutionär verurteilt und verfolgt. Täglich wurden junge Menschen öffentlich ausgepeitscht und alleine im Jahr 1979 wurden rund 600 Frauen wegen angeblicher «sexueller Vergehen» hingerichtet.
 
Im Zuge der Demonstrationen Ende 2017 gegen die desolate Wirtschaftliche Situation in verschiedenen Städten Irans ist auch eine Protestbewegung gegen das Kopftuch entstanden: Vor dem berühmten Café Farance, dem Treffpunkt von Studierenden und Intellektuellen, stellte sich damals eine junge Frau auf einen Stromkasten. Sie hatte ihr Kopftuch an einen Stock gebunden und hielt ihn in der Hand. Still stand sie da, wie eine Statue. So protestierte die 31-jährige Vida Movahed gegen den Kopftuchzwang im Iran. Das Bild von ihr und ihrem Kopftuch am Stock kursierte sofort in den sozialen Netzwerken und in den internationalen Medien. Kurz darauf wurde Vida Movahed verhaftet, laut ihrer Anwältin aber nach einer Weile wieder freigelassen. Viele Frauen machten es ihr daraufhin nach – an verschiedenen Orten, aber auch auf dem Stromkasten, auf dem Vida Movahed stand. Die Bewegung breitete sich im ganzen Land aus, die Frauen der Revolutionsstraße wurden zu einer immer größeren Gruppe. Die Proteste der Frauen sind nicht vor kurzem entstanden. Sie sind vielmehr Teil eines langjährigen kollektiven Widerstands, der immer wieder neue Ausdrucksformen findet. die iranischen Frauen die Gruppe sind, die der Autorität gegenüber am ungehorsamsten gegenüberstehen. Seit der Islamischen Revolution gilt eine strenge Kleidervorschrift: Haare und Körper der Frau sollen vollständig bedeckt werden. Blickt man aber auf Irans Strassen, dann wird schnell klar, dass diese Verbote und Anordnungen nicht funktionieren. Mehr als die Hälfte der Frauen zeigt trotz des Kopftuchzwangs ihre Haare und hat das angeblich Unpassende an. Immer wieder definieren die Iranerinnen ihre eigene «Norm» für ihre Straßenoutfits – nie stellt diese die Obrigkeit zufrieden. Kürzlich erklärte sogar Generalstaatsanwalt Mohamed Dschafar Montaseri den Kampf gegen die «unislamische» Kleidung der Frauen im Iran für gescheitert. Das gewaltsame Vorgehen der Staatsmacht dagegen habe nichts gebracht und dem Land nur geschadet.
 
Dies half jedoch einer der Protestierenden nicht weiter: Sie erhielt 20 Jahre Haft, zwei davon ohne Bewährung. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie mit dem Ablegen der Verhüllung und dem Schwenken derselben an einem Stock in der Öffentlichkeit den Straftatbestand der Anstiftung zur Prostitution erfülle. Im laufe des Frühjahrs haben die Hijab-Gegnerinnen auf der Facebook-Seite «My Stealthy Freedom» bereits Tausende von Videos und Fotos hochgeladen, in denen Frauen sich ohne Kopftuch auf die Strasse wagen. Und es kursieren auch diverse Bilder von Männern, die aus Protest gegen den Kopftuchzwang bei Frauen selber einen Hijab tragen…

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<![CDATA[Essen!]]>Sat, 08 Sep 2018 22:00:00 GMThttp://www.elizei.ch/iran-2018/essenEssen ist ja ganz generell eine schöne Sache. Aber essen in Iran, das ist etwas ganz Besonderes. Es wird richtiggehend zelebriert, wenn auch auf andere Art, als bei uns in Europa. Das fängt schon bei der Einladung an: natürlich wird man immer und überall eingeladen, doch zum Essen vorbei zu kommen. Dazu mehr unter dem Stichwort Tarof. Die Iranerinnen und Iraner sind ungemein gastfreundlich, dies durfte ich schon hier in der Schweiz immer wieder aufs angenehmste erfahren. Wird man eingeladen, dann beginn man üblicherweise mit Tee. Und Früchten. Und Pistazien. Und Toghme. Und getrockneten Früchten oder Beeren. Und vielstöckigen, cremeverzierten Kuchenstückchen. Oder – je nach wirtschaftlicher Situation der Gastgeber – mit dem einen oder anderen von allem, Früchte sind aber immer dabei. Meist dauert diese Phase eine gewisse Zeit (so eine bis zwei Stunden können es gut sein) und wenn man nicht aufpasst, dann ist der Magen schon voll, bevor es richtig beginnt. Während dieser Zeit wird Höflichkeiten ausgetauscht, geplaudert oder lautstark diskutiert – je nachdem, wie gut man mit den Anwesenden bekannt ist. Oder alles zusammen. Manchmal wird in dieser Phase auch schon mal Musik gemacht und fröhlich getanzt.

Richtet man sich gut ein, benutzt man diese Zeit nicht, um sich den Bauch vollzuschlagen, sondern um sich auf das Hauptessen zu freuen. Je länger es dauert, desto mehr läuft mir dann jeweils das Wasser im Mund zusammen. Diese Phase aber ohne gefüllten Bauch zu überstehen, braucht neben einer guten Portion Willen auch eine Menge diplomatischen Geschicks: natürlich wird keineswegs ignoriert, wenn der Gast nichts isst sondern immer wieder darauf bestanden, man solle sich doch bedienen und von jenem oder dem andern probieren. Nützt alles gute Zureden und das demonstrative Hinhalten der Teller und Schalen im Sekundentakt nichts, dann wird dem Gast auch schon mal ungefragt ein Teller voller Leckereien zusammengestellt. Den man dann natürlich aus Höflichkeit auch leert. Obwohl es kein Problem ist, Resten auf dem Teller zu lassen als Zeichen dafür, dass man genug hat, widerstrebt mir diese Taktik aus Prinzip. Viel eher setze ich dann darauf, mir selber einen Teller – mit der Hälfte der Dinge und bezüglich Fülleigenschaften genau ausgewählt und dosiert – zu nehmen und die nächsten zwei Stunden damit zu verbringen, diesen langsam auszuessen. Natürlich bleibt dies nicht unbemerkt, aber man kann immer noch verlegen lächeln und sagen, man esse halt so langsam. Und geniesse die wunderbaren Dinge so richtig dabei. Ich kann das ohnehin machen, weil ich ja den Ausländerbonus habe («die sind halt anders, diese Ausländer»…).

In vielen Haushalten steht im Esszimmer ein grosser Tisch, an den man sich zum Essen niederlässt. Aber häufig ist dieser zu klein für die ganze Gesellschaft. Und so wird vielerorts immer noch auf dem Boden gegessen. Dann wird in der Mitte des Raumes ein «Sofreh» ausgelegt und damit gestartet, dieses zu füllen. In den meisten Fällen beschränkt sich die Gastgeberin nicht darauf, nur ein Gericht zu kochen, sondern es werden mehrere aufgetischt. Auch in Familien, die sehr bescheiden leben, wird versucht, den Gästen so viel Gutes wie möglich aufzutischen. Man muss sich bewusst sein, dass wenn man eine Einladung zum Essen annimmt, möglicherweise das Fleisch für eine ganze Woche auf den Tisch kommt und die Gastgeber sich möglicherweise damit übernehmen, die Gäste zu bewirten.

Ist das Sofreh gefüllt, dann stehen da unzählige Platten mit Reis, Töpfe mit «Choresht», Teller mit «Sabzi», Schüsseln mit «Mast» und die Lücken werden häufig aufgefüllt mit Brot und «Seytun parvarde», «Salad Shirazi», «Torshi» und Salat. Manchmal kommt «Kebab» und gebratene Tomaten dazu. Man isst nicht in verschiedenen Gängen, sondern alles wird – bis auf das Dessert – gleichzeitig serviert. Und dann beginnt das grosse Schlemmen! Und natürlich wieder dasselbe Spiel mit den gleichen vertrackten Regeln, wie beim Tee, das damit endet, dass man völlig überfressen und mit steifen Knien vom Schneidersitz nach dem Essen kaum mehr vom Boden hochkommt…

Choresht sind Eintöpfe, die je nach Rezept mit Rindfleisch, Lamm oder Huhn und unterschiedlichen Gemüsen und oder Bohnen und Linsen gekocht werden. Da gibt es beispielsweise Choresht Kheime (geschmortes Fleisch mit gelben Erbsen, Tomaten und Kartoffeln) , Sabzi Choresht (geschmortes Fleisch mit verschiedenen Kräutern und roten Bohnen), Choresht Bademjan (geschmortes Fleisch mit Auberginen und Tomaten), Chorest Karafs (geschmortes Fleisch mit Stangensellerie), Alu Choresht (geschmortes Poulet mit Pflaumen), Baghali Chorsesht (weisse Bohnen mit Dill, Ei und Knoblauch) oder Fesenjun (geschmortes Poulet in Baumnuss-Granatapfelsauce). Ebenfalls in Sauce geschmort sind Gerichte wie Mahijeh (Lammbein mit Knochen), Shami (Hackfleischplätzli) oder Kufte (Kugeln aus Reis, Erbsen und Hackfleisch). Und dann ist da noch gebratenes Poulet mit «Sereshk Polo» (Reis mit Berberitzen und Safran), einer meiner Favoriten. Auch Vegetarier kommen auf ihre Kosten, zum Beispiel mit Kashk-e Bademjan (Auberginenmousse mit einer Art getrockneter und gesalzener Joghurtmasse), Kuku Sabzi (Bratlinge aus Spinat, Kräutern und Ei) oder Kuku Sibzamini (Bratlinge mit Kartoffeln). Kebab, also persisches Fleisch oder Fisch vom Grill, gibt es ebenfalls in den verschiedensten Varianten, so zum Beispiel Kebab Bargh (Lammfleischspiess), Kebab Kubideh (Hackfleischspiess) oder Djudjeh Kebab (Poulet am Spiess).

Natürlich hat jede Region ihre Spezialitäten – wir haben das Glück, dass wir viele Verwandte und Freunde aus dem Norden rund um Rasht haben. Von der Küche aus Rasht sagt man, es gäbe über Tausend Rezepte (ich habe noch nicht alle probiert…). Der nordischen Küche eigen ist, dass viel mit Knoblauch gekocht wird und mit Fisch – naheliegend, da ja das Kaspische Meer nicht weit ist. Ausserdem vertritt man hier das «saure» gegenüber dem «süssen»: Dies hat zu Studentenzeiten beim «Gruppenkochen» immer wieder zu Differenzen geführt zwischen den beteiligten Köchen. Die Gilani schüttelte es, wenn die Teherani Zucker zum Fesenjun gaben – Fesenjun müsse torsch, also sauer, sein! (Ich persönlich mag das Fesenjun leicht süss und begehe damit Verrat an der sauren Fraktion, zu der N ebenfalls gehört – aber freundlicherweise ist er bereit, für mich einige küchenspezifische Prinzipien über Bord zu werfen). Im Norden geht man sogar so weit, «Kebab Torsh» zu servieren – in Granatapfel- und Baumnusspüree mariniertem Fleisch am Spiess (schmeckt aber traumhaft!). In anderen Regionen – v.a. jenen entlang der Seidenstrasse wie zum Beispiel Yazd oder Kashan – wird mehr mit Zimt gekocht. Überall zur Küche gehört Safran und Kurkuma, den süss-sauren Geschmack erhält man mit kleinen Limetten, die frisch oder meist getrocknet zum Choresht gegeben werden (z.B. Choresht Kheyme oder Sabzi Choresht oder mit Granatapfelsaft oder Püree (z.B. Fesenjun).

Wichtige Beigaben zu praktisch jedem Essen sind frische Kräuter – eine Mischung aus Koreander, Petersilie, Estragon, Ackerlauch, Frühlingszwiebeln, Persischer Basilikum und Radieschen – welche von Hand zusammen mit dem Essen (oder ganz wunderbar einfach in Fladenbrot eingewickelt) gegessen werden. Sie ersetzen häufig den Salat, wie wir ihn hier in Europa kennen. Die Joghurts («Mast») werden entweder einfach «nature» gereicht (wobei zwischen «Mast shirin», einem eher dicken Vollfettjoghurt und «Mast mahmuli», dem «gewöhnlichen», etwas flüssigeren Joghurt unterschieden wird) oder gemischt mit Gurken und Minze («Mast-o-khiar») oder mit wildem Knoblauch («Mast-o-Musir») oder mit Auberginen oder Spinat («Burani»). Weiter wird häufig «Torshi» (würzig eingelegtes, klein geschnittenes Gemüse) oder «Sir torshi» (ganzer in Essig eingelegter Knoblauch) gereicht oder «Salad Shirazi» (klein geschnittene Tomaten und Gurken mit Zwiebeln an Zitronensauce und Olivenöl). Eher im Norden kommen eingelegte Oliven («Seytun-e parvardeh») dazu. Diese sind entweder eingelegt in gemahlenen Baumnüssen und Granatapfelsirup mit Knoblauch und Pfefferminze gewürzt oder in einer gedämpften Kräutermischung und schmecken einfach himmlisch!

Getrunken zum Essen wird entweder Wasser («Ab»), Süssgetränke wie Cola («Nushabe») oder «Dough», einer Yoghurt-Wassermischung mit Minze. Tee – wie dies immer wieder kolportiert wird – habe ich persönlich zum Essen noch nie erlebt.

Anders als bei uns häufig wird zum Essen nicht sehr viel Zeit aufgewendet – ausgiebiges Verweilen an der Tafel (oder eben dem Sofreh) ist eher unüblich. Geplaudert, diskutiert und gestritten wird vorher (beim Tee) oder nachher (beim Tee). Beim Essen wird durchaus auch geredet, aber vor allem gegessen. Wer schon einmal am Boden im Schneidersitz gegessen hat, weiss, dass man nicht stundenlang in dieser Position verharren kann – ausser natürlich, man ist ein Yogi…

P.S.: ich versuche je nach Zeit in den nächsten Tagen endlich einmal einige persische Rezepte auf meine Rezeptseite zu stellen…

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<![CDATA[Alkohol, Parties und Drogen]]>Sat, 08 Sep 2018 22:00:00 GMThttp://www.elizei.ch/iran-2018/alkohol-parties-und-drogenAlkohol ist in Iran streng verboten, dieses Verbot gilt auch für Besucher. Auch in Hotels ist – anders als in anderen islamischen Ländern – kein Alkohol zu bekommen. Einzig die Christen sind vom Alkoholverbot ausgenommen, aus religiösen Gründen. 2012 hat die iranische Verkehrspolizei eine vierwöchige Untersuchung durchgeführt mit dem Ergebnis, dass rund ein Viertel der kontrollierten Fahrer alkoholisiert waren. Wird man beim Akloholkonsum erwischt, drohen 80 Peitschenhiebe – dies ist die Strafe, welche die Scharia vorsieht: «Mohammed sagt, darauf stehen 80 Schläge». Schätzungen zufolge konsumiert rund eine Million Iraner regelmässig Alkohol. Sie erhalten diesen über komplizierte Wege («der Freund eines Freundes eines Freundes») und zu sehr teuren Preisen.

2010 waren wir in einem Vorort von Teheran an eine Party eingeladen. Hier wurde eine Flasche Whisky organisiert und mit Dollar bezahlt. Andernorts wurden wir zu einem Glas Wein eingeladen. Dieser wird entweder irgendwo selber hergestellt oder ebenfalls auf dem Schwarzmarkt – nicht selten bei den christlichen Armeniern – beschafft. Bei einem Ausflug mit Freunden in die Berge brachte jemand gar einen ganzen Kanister Wodka mit. Häufig wird auch Bier selber gebraut: dies ist – dank dem von der Regierung zugelassenen alkoholfreien Bier – sogar recht einfach herstellbar. Man nimmt einige Flaschen alkoholfreies Bier, fügt Zucker und etwas Hefe hinzu. Durch eine Woche Fermentierung wird damit der – in komplizierten Verfahren in der Produktion des alkoholfreien Biers ursprünglich entfernte – Alkohl wieder hinzugefügt. Ein solches Bier enthält nicht selten zwischen 8 und 9 Volumenprozent Alkoholgehalt.

Ist Alkohol vorhanden, dann wird selten Mass gehalten – wer weiss schon, ob die Party nicht aufgelöst werden muss, weil eine Kontrolle erfolgt. Solche Kontrollen können jederzeit vorkommen: ein schlecht gesinnter Nachbar kann jederzeit die Polizei rufen oder die Vorhänge an den Fenstern sind nicht richtig zugezogen und farbiges Licht oder die Schatten tanzender Leute sind von der Strasse her zu sehen. Droht eine Polizeikontrolle, dann wird als erstes der Alkohol weggeschüttet und als zweites die Kleiderordnung wiederhergestellt und die Musik runtergedreht. An unserer Party in Teheran ist alles gut gegangen – trotzdem war die Literflasche Johnny Walker noch vor dem Abendessen leer.

Natürlich werden an solchen Parties auch andere Gesetze gebrochen, so beispielsweise das Tanzverbot oder das Verbot moderner Musik. Und natürlich wird auch gegen die die Kleidervorschriften verstossen. Bevor ein iranisches Haus betreten wird, zieht man üblicherweise die Schuhe aus. Hijab und Manteau darf eine Frau nur in Gegenwart ihres Ehemannes, ihres Vaters oder ihrer Brüder abnehmen. Sind andere Männer im Raum, gelten die islamischen Kleidervorschriften weiter. Bei Hochzeiten und anderen Festen feiern die Frauen und die Männer nicht selten in separaten Räumen. Ganz anders an unserer Party: Die Damen – bei ihrer Ankunft vorschriftsmässig gekleidet – ziehen aus kleinen Stofftäschchen ihre Stilettos hervor und kommen nach einem kurzen Abstecher im Bad mit einem kurzen, tief ausgeschnittenen Hauch Stoff bekleidet auf hohen Absätzen zurück, bereit, um zu westlicher Technomusik oder verbotenem iranischen Rap und Rock ausgelassen zu tanzen.

Die Besucher an dieser Party bildeten einen Querschnitt der Bewohner des modernen Teherans: Da war zum Beispiel der bald sechzigjährige Dissident, jahrelang im Gefängnis und seiner Jugend, seiner Träume beraubt, der als Taxifahrer arbeitete und die Hoffnung nicht aufgab, trotz seiner Vorgeschichte doch noch einmal eine Ausreisegenehmigung und einen Pass erhalten zu und zu den Verwandten in die USA oder nach Australien auswandern zu können (dies ist ihm 2016 auch wirklich gelungen!). Eine jüngere Frau mit naturwissenschaftlichem Hintergrund, die mit CDs Englisch lernte in der Hoffnung, dass sie im Ausland einen Job und ein Leben als selbstbestimmte, freie Frau finden könnte, beides «nicht möglich in diesem Land der rückständigen Machos». Der über dreissigjährige unverheiratete Sohn aus reichem Hause, gestylt, gelangweilt, ohne Herausforderungen und vernünftigen Ziele, der nur kurz seine lässig-coole Haltung aufgibt als er hört, dass wir in Persepolis waren: «Das seien würdige Herrscher gewesen, die hätten Kultur gehabt und bereits vor 2500 moderne Gesetze, nicht diese bärtigen Mullahs, die heute das Land regieren!».

Der junge Mann lud uns im Laufe des Abends zu einer anderen Art Nervenkitzel ein, den wir jedoch dankend ablehnten: eine Fahrt über den Chalus-Pass. Auf der engen Passstrasse zwischen Karaj und Chalus messen sich die jungen Männer in den Nächten nach Parties öfters an Autorennen, die nicht selten tödlich enden.

Da man Alkohol riechen kann, bevorzugen nicht wenige junge Leute den Cannabis-Konsum. Aber auch härtere Drogen werden längst konsumiert: Traditionell war Opium die meistkonsumierte Droge im Land. Vor allem in ländlichen Gebieten galt Opium seit Jahrhunderten nicht nur als Droge, sondern wurde mangels anderer medizinischer Alternativen auch als universelles Schmerzmittel, zur Beruhigung von Säuglingen oder vor allem von alten Menschen beiderlei Geschlechts gegen Altersbeschwerden konsumiert.

In den achtziger Jahren stieg jedoch die Zahl der Süchtigen massiv an: Gemessen an der Bevölkerungszahl (83 Mio, Stand 2018), gehört die Islamische Republik bis heute weltweit zu den Nationen mit der höchsten Zahl an Suchtkranken. Die Deutsche "Zeit" schreibt 2016, dass rund 1,25 Millionen Iraner nach offiziellen Angaben abhängig sind, weitere 700.000 konsumieren gelegentlich Stoff, wobei die Dunkelziffer sehr viel höher liegen dürfte. Man geht dabei insgesamt von rund sechs Millionen Menschen aus, die mit Suchtproblemen zu kämpfen hätten, darunter mindestens 200.000 Alkoholiker. Die Alten konsumieren dabei meist Opium, die jungen Iraner dagegen sind längst auf härtere Drogen umgestiegen wie Crack und Crystal Meth («Shisheh»).

Insgesamt waren von 1980 bis 2000 etwa 1,7 Millionen Menschen wegen Drogenvergehen inhaftiert. Noch in den achtziger Jahren hatte der Staat Tausende Junkies in Umerziehungslager gepfercht, wo sie mit körperlicher Entgiftung, religiöser Sündenbuße und Zwangsarbeit von ihrer Sucht loskommen sollten. Andere bekamen Haft, Geldbußen oder Prügelstrafen. Dealer werden mit dem Tod bestraft. Doch der Erfolg blieb aus, im Gegenteil, viele gerieten erst in den Gefängnissen und Erziehungslagern an die harten Drogen. Darum ist die Regierung umgeschwenkt und lässt seit einigen Jahren wieder Initiativen für Prävention und Entzug zu.

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<![CDATA[Farbiger Iran...]]>Fri, 07 Sep 2018 22:00:00 GMThttp://www.elizei.ch/iran-2018/farbiger-iranIran ist ein farbiges Land: Grün ist die Farbe des Islams, grün die Farbe der Demonstranten, die 2009 in Irans Strassen ihre Stimmen erhoben haben. Grün sind aber auch die weiten Reisfelder im Norden, die Hügel des Djangal und das kleine Tal des «behesht-e-gomshode», des verlorenen Paradieses. Und grün schliesslich sind die Olivengärten in der Heimatstadt von N.

Weiss ist die Farbe des Friedens und der Unschuld und weiss ist das Tuch, in das die Leichen gebettet werden. Und die Farbe des Widerstands der Frauen gegen die Hijab-Vorschriften. Weiss ist die Farbe des Salzes, das an den Berghängen des Zagros in breiten Kegeln aus den Spalten rieselt, weiss der Schnee auf den Bergen bei Yazd, die sich im Dunst der Wüste erheben, weiss die endlose Fläche der Salzseen in den Wüsten und weiss die Spitze des Damawand, der sich hoch im Norden von Teheran erhebt.

Rot ist die Farbe des Blutes, das durch den Tod von Hussein und seiner Familie bei Kerbala geflossen ist und sich über die Jahrhunderte zu einer Kluft zwischen Schiiten und Sunniten in den Staub der Geschichte gegraben hat. Rot sind die Felsen von Firuzkuh und rot die Erde des Fars. Rot sind die Blüten der Granatapfelbäume und rosa die zarten Rosenblüten auf den Kacheln der Moschee von Schiraz. Rot sind die Lippen der lächelnden Mädchen im Garten von Fin, die sich um mich scharen und sich mit mir fotografieren lassen wollen.

Als Schwarz schliesslich erscheint mir die islamische Republik. Schwarz sind die Gewänder von Khomeini und Chamenei, schwarz die Menschenmassen, die nach der Revolution durch Teheran strömten und «margh bar amrika» riefen. Schwarz die Tschadore der Frauen der Sittenpolizei, welche an Eingängen von Moscheen, religiösen Stätten oder Behörden die islamische Kleiderordnung sicherstellen und mit grünen Staubwedeln vorwurfsvoll sichtbares Haar und Haut an Hals und Ausschnitt bewedeln. Schwarz beflaggt ist das Land an feierlichen religiösen Festen, von denen es viele gibt in Iran. Schwarz sind die Hemden der Männer an Aschura, wenn sie in Hundertscharen zu Trommelschlägen, rhythmisch auf die Brust schlagend und klagend durch die Strassen ziehen mit «Ay Hussein»-Rufen. Schwarz ist aber auch der Tschador der kleinen alten Frau, die mich in Isfahan am Ärmel zupft, mit freundlichem Gesicht zu mir aufsieht und mich in ein Gespräch über Gott und die Welt verwickelt. Und schwarz-grau ist der kluge Rabe im Hof der Masdschede-Jume in Isfahan, der fleissig trockene Brotbrocken in den Brunnen tunkte, um es aufzuweichen.

Gelb und golden ist die Sonne, die über Persepolis aufgeht, vor der die Menschen in der Mittagshitze im Schatten der Häuser oder der Bäume in den grünen Flusstälern Schutz suchen. Gelb ist der Sand in der Wüste, Ocker die Lehmbauten im Süden und die Windtürme in Yazd, Golden ist die Kuppel der Lotfalla-Moschee in Isfahan und gelb sind die vielen Taxis auf Irans Strassen. Gelb die kunstvoll geformten Gewürzhügel im Bazar von Kashan und gelb der süsse Sirup aus Safran.

Blau sind die Moscheen und Prunkbauten der Abbasiden, blau der Himmel, der sich über das Land wölbt und sich blau und türkis im Wasser der Teiche in den persischen Gärten spiegelt. Blau ist die Kuppel über dem Grab von Saadi in Shiraz. Blau ist der kleine Vogel, der sich von mir in der Nähe von Yasuj fotografieren lässt und blau sind die Augen einer jungen Frau, die uns am Kaspischen Meer Früchte verkauft.


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<![CDATA[Zwischenbemerkung oder: von der Oberflächlichkeit des Bloggens]]>Thu, 06 Sep 2018 22:00:00 GMThttp://www.elizei.ch/iran-2018/zwischenbemerkung-oder-von-der-oberflaechlichkeit-des-bloggensSo eine Reise nach Iran ist ja eine lustige Sache – auf diese Idee könnte man durchaus kommen, wenn man meine bisherigen Texte liest. Alles ist in Ordnung, abgesehen von einigen Einschränkungen im Internet und ein paar wirtschaftlichen Problemen. Die Menschen sind allesamt lustig, freundlich und manchmal etwas einfach. Kurz: No Problem (oder wie ich dies ein meinem Pferdebeitrag beschrieben habe: «Moshgel nist»!).

Natürlich ist dem keinesfalls so. Iran ist kein demokratisches Land. In Iran ist Meinungsäusserung keine Freiheit, sondern Äusserung der Meinung kann die Freiheit kosten. Wer sich nicht staatskonform verhält, wird gebüsst oder büsst – nicht selten mit dem Leben. Die Frauen spielen aus Sicht des Staates nur eine untergeordnete Rolle. Sie sind – im wahren Sinne des Gesetzes – nur halb soviel wert wie ein Mann und werden von vielen Bereichen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. Es ist viel Schlimmes passiert in Iran und es passiert immer wieder viel Schlimmes.

Iran ist jedoch erfüllt von Farben, Geräuschen, Gerüchen, von Menschen und Worten und Melodien, und die grell, sanft, laut, bedrohlich, leise, still, schillernd, seelenvoll, chaotisch, mystisch und so lebendig und herzzerreissend immer wieder erstaunen und verwirren und das facettenreiche, ergreifende und einnehmende dieses Landes und seiner Menschen ausmachen. Iran ist gegensätzlich, schwarz, weiss und bunt zugleich und voller Muster, einfach und dennoch kompliziert geknüft wie ein wunderbarer Teppich und wenn man sich Zeit nimmt, zuhört, schaut, dann eröffnet sich immer wieder Neues, Überraschendes, Anderes.

Wenn ich in meinem Blog nur wenig über die Geschichte, die Regierung oder die aktuelle Situation in Iran schreibe, dann ist dies nur zu einem Teil der Oberflächlichkeit des Bloggens geschuldet, sondern ist etwas komplizierter. Einerseits bestehen gewisse Probleme technischer Natur, die eine sorgfältige Recherche für objektive Berichterstattung schwierig machen. Andererseits wird bereits sehr viel «schwarz-weisses» berichtet, und ich möchte mehr buntes, farben-frohes schreiben, über die Gastfreundschaft, die Herzlichkeit, die Lebendigkeit und die Wärme der vielen Menschen verschiedenen Alters und Bildungsstufen, denen wir hier begegnet sind und über die vielen kleinen und grösseren Geschichten ihres Alltags.


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<![CDATA[Picknick am Fluss - oder: ganz schön verdreckt]]>Wed, 05 Sep 2018 22:00:00 GMThttp://www.elizei.ch/iran-2018/picknick-am-fluss-oder-ganz-schoen-verdrecktKurz nach dem Frühstück grosse Geschäftigkeit in der Küche – es wird ein Picknick vorbereitet. Töpfe, Decken, Körbe, Besteck und Geschirr und eine grosse Wassermelone werden gepackt und zusammen mit einem rechteckigen Holzkohlegrill und einem Gaskocher im Auto untergebracht. Wir fahren nach Masal, einem Ort in den Bergen in der Nähe von Fuman.

Wir sind nicht die einzigen, die heute ein Picknick unternehmen wollen und viele Plätze entlang dem kleinen Fluss unter den zahlreichen Bäumen sind bereits besetzt. Picknicken ist eine äusserst beliebte Freizeitbeschäftigung in Iran und man packt an den möglichsten und unmöglichsten Orten die Decken aus und richtet sich gemütlich für einige Stunden ein. Da darf es auch einmal das breite Trottoir unter den Bäumen eines breiten Boulevards in einer Stadt im Norden sein (gesehen z.B. in Ramsar oder ganz ausgeprägt in Gorgan). Beliebter jedoch sind natürlich alle Plätze entlang kleiner Bergbäche in grünen Wiesenlandschaften (gesehen in Dorud und Taroom) oder entlang jeglicher Art Wasser, ob tröpfelnd oder rauschend in grünen Flusstälern.

Leider sieht man jeweils auch sofort, wo die beliebten Picknickplätze sind: So herzlich und gastfreundlich die Iraner sind, so viele interessante und intelligente, gebildete Gesprächspartner wir auch antreffen, so unsäglich nervt es uns, wie unsorgsam mit der Natur umgegangen wird. Alles wird weggeschmissen, egal, wo. Die Reste des Picknicks? Einfach liegenlassen. Petflaschen, Servietten, Plastiktaschen? Einfach liegenlassen. Plastikbecher, Besteck? Einfach liegenlassen. Dabei scheint niemand daran zu denken, dass man selber am nächsten Freitag vielleicht wieder hierher kommen könnte zum Picknick. In dem ganzen Müll.

Wir haben in den Sanddünen der Dashte-Maranjab eine halbe Stunde damit verbracht, die Überreste eines Camps aufzuräumen und haben fast zwei Müllsäcke mit Plastikgeschirr und Petflaschen gefüllt. In Dorud haben wir ebenfalls gut eine Stunde damit verbracht, die Fläche von etwa dreissig Quadratmetern von Müll zu befreien, dort habe ich zwei 110-Liter Säcke gefüllt. Als wir diese ins Dorf zurückbrachten und fragten, wo wir sie entsorgen können, nahm man sie uns wortlos aus der Hand und schmiss sie das nächste Wiesenbord hinunter!

Auch hier starten wir zuerst mit einer Reinigungsaktion – erstaunt beäugt von unseren Picknick-Nachbarn, die friedlich auf ihrem Webteppich Tee trinken. Wir kommen mit ihnen ins Gespräch und N erklärt ihnen, wie wichtig es sei, auf die Natur achtzugeben. Alle sind begeistert („bale bale“), bieten uns Biskuits aus Plastikschalen an und werfen die leere Schale – noch während sie zustimmend nicken – ungerührt über die Schulter ins Grüne hinaus...

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<![CDATA[Wirtschaftliche Probleme zum zweiten]]>Wed, 05 Sep 2018 22:00:00 GMThttp://www.elizei.ch/iran-2018/wirtschaftliche-probleme-zum-zweitenDer Dollar-Kurs ist weiter gestiegen bzw. der Rial hat - zumindest der inoffizielle Kurs - weiter an Wert verloren. Gemäss Berichten Deutscher Zeitungen seit Aufkünden des Atomabkommens durch die USA gut 2/3 an Wert eingebüsst. Wir treffen ein junges Paar, dass bald Nachwuchs erwartet - sie machen sich Sorgen, wie sich die wirtschaftliche Lage weiter entwickeln wird, insbesondere, wie die medizinische Versorgung sich entwickelt oder die Preise für Dinge wie Baby-Nahrung oder Windeln. Bereits jetzt ist an vielen Orten keine Nestlé-Kindermilch mehr erhältlich und als Alternative zum Stillen gibt es nur noch iranische oder chinesische Produkte. Beide geniessen bei jungen Eltern in Iran wenig bis gar keine Vertrauen. Die Preise für Baby-Windeln sind in den letzten Wochen teilweise bis zum fünffachen gestiegen. Dies wird damit erklärt, dass zwar die Windeln selber im Land hergestellt werden, die Rohstoffe für die Füllung jedoch importiert werden müssen. Da der Rial so viel an Wert verloren hat, sei damit auch das Produkt teurer geworden. Derzeit gibt es immerhin noch Windeln für Babies. Hingegen sind Inkontinenzprodukte oder Hygieneartikel für Frauen praktisch nicht mehr erhältlich.
 
Letztlich ist die Preissteigerung oder auch der Mangel aber häufig hausgemacht: Es hat einerseits verschiedentlich Hamsterkäufe von Privaten gegeben. Viel schlimmer jedoch ist, dass gierige Händler Ware importieren, diese aber in Lagern horten in Erwartung noch höherer Gewinne bei weiter steigenden Preisen. Dies ist offenbar auch bei den Hygieneartikeln der Fall, genau so wie für eine Vielzahl anderer Produkte. So wurden jüngst in einer Lagerhalle 150 000 Kühlschränke gefunden. Was genau die Regierung in solchen Fällen unternimmt, ist nicht ganz klar. Die Leute nehmen an, dass sie in den meisten Fällen gar nichts tun wird: Um in Iran überhaupt im grösseren Stil im Importgeschäft tätig sein zu können, braucht es eine Genehmigung. Und diese Genehmigungen werden praktisch nur an Parteigänger oder ihre Schützlinge vergeben...

Der Schwiegersohn eines Freundes arbeitet in einer Zigarettenfabrik in Rasht. Hier werden unter anderem Winston, Camel und Marlboro für den iranischen Markt hergestellt. Ursprünglich studierter Maschinenbauingenieur, ist er dort in der Qualitätssicherung tätig. Er erzählt uns von einem Phänomen, dass wir auch andernorts immer wieder hören: viele Arbeiter sind Opiumsüchtig und nehmen ihre Aufgaben oder langsam, in schlechter Qualität oder gar nicht wahr. Andere sind zwar nicht süchtig, aber arbeiten auch nicht besser oder öfter. Gemahnt oder gekündigt werden können viele dieser Arbeiter jedoch nicht, da sie entweder selber Basij sind oder aus Familien von Pasdaran oder Basij stammen. Damit sind sie unantastbar. Auch wenn die Arbeit ausgeht - und dies ist bei der jetzigen wirtschaftlichen Situation immer häufiger der Fall - dann müssen zuerst alle anderen entlassen werden, bevor jene ihre Arbeit verlieren...

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<![CDATA[Qaled-ye Rudkhan oder: Halligalli im Elfenwald]]>Tue, 04 Sep 2018 22:00:00 GMThttp://www.elizei.ch/iran-2018/qaled-ye-rudkhan-oder-halligalli-im-elfenwald​Die nächsten zwei Tage gehören unseren Freunden in Rasht. Wir packen also am Vormittag unsere zwei Autos wieder und verabschieden uns von unseren Gastgebern in Anzali. Nicht aber, bevor nicht kurz vor Aufbruch noch gefühlte 100 Gruppenfotos auf der Terasse und vor dem Traubenspalier der Auffahrt gemacht wurden. In Rasht erwartet uns zuerst ein feudales Mittagessen und anschliessend ein Ausflug nach Fuman und Qaleh-ye Rudkhan. In Fuman wird das Dessert besorgt, runde süsse Kuchen, die Spezialität der Region. Nach Fuman führt die Strasse durch kleine Dörfer und zuerst Reisfelder, anschliessend durch Teefelder in die Ausläufer des Elburs hinauf. An einer Kreuzung eine kurze Diskussion: Soll die Fahrt in das Bergdorf Masuleh gehen oder bleiben wir beim Plan, nach Qaleh-ye Rudkhan zu fahren? Wir entscheiden uns für Qaleh-ye Rudkhan, da wir das letzte Mal zu spät waren und die Burgruine gar nicht gesehen haben – der Aufstieg dauert eineinhalb Stunden und als wir die Hälfte geschafft hatten, wurde uns mitgeteilt, dass oben bereits geschlossen sei. Heute sind wir früher dran und hoffen, diesesmal bis oben zu kommen.
In der Nähe dann plötzlich Stau – offenbar haben alle Touristen, von denen es immer noch genug gibt, da die Schulen erst gegen Ende September wieder beginnen, ebenfalls beschlossen, Qaleh-ye Rudkhan zu besuchen. Wir kriechen also während der nächsten Stunde zum grossen Parkplatz am Ende der Strasse hinauf. Wo wir das letzte Mal von einzelnen Gruppen Jugendlicher abgesehen praktisch alleine waren, ist nun der Zirkus los: Wahre Menschenmassen drängen und drücken sich durch Stände mit Süssigkeiten und Souvenirs, Kebab-Restaurants und Fotobuden, in denen sich die ganze Familie in den Traditionellen Trachten der Region fotografieren lassen kann hinauf Richtung Wald. Zwei Kamele – eines weiss, eines braun – warten mit farbigen Quasten und Glöckchen behängt darauf, die Touristen rund um den Parkplatz zu tragen. Die Verkäufer und Kelner der Restaurants preisen lauthals ihre Ware an, der eine übertrifft den anderen in kreativen Begründungen, weshalb die Besucher doch ihr Restaurant, ihre Bude besuchen sollen. Wir hoffen, dass wir – sobald im Wald – etwas Ruhe finden, doch weit gefehlt: bis weit hinauf reichen die Bretterbuden und Verkaufsstände, kann „Ash“ (eine Art dicker Suppe), „Lavashak“ (getrocknete Früchte, ganz dünn gewalzt, teilweise süss-sauer bzw. leicht salzig mit saurem Granazapfelpüree serviert), Tee, Schuhe, kleine gestrickte bunte Puppen, Socken und Baby-Pantöffelchen, Sonnenbrillen, Hüte etc. Gekauft werden. Wir stecken übel im Stau der Menschenschlange und wissen nicht so genau, ob wir uns über den Tumult amüsieren sollen oder uns bedauern sollten. Was für ein Chaos!
Die Qaleh-ye Rudkhan im Ursprünglich im 11. Jahrhundert von den Seldschuken erbaut, ist es die grösste militärische Anlage ihrer Art in Iran. Sie wurde anstelle einer vorislamischen Festung erbaut und diente zunächst den Ismaeliten als Rückzugsort, später regionalen Fürsten, die den Zentralregierungen die Stirn boten. Bei akuter Gefahr zogen sich auch die Bewohner der umliegenden Täler hierher zurück. Über zwei Hügelkuppen entlang eines Grates errichtet, nimmt sie eine Fläche von rund fünfzig tausend Quadratmeter ein. Ihre Schutzmauer misst über eineinhalb Kilometer und ist mit zweiundvierzig Wehrtürmen bestückt.
Der Weg hinauf führt durch einen wunderbaren Wald: Ein hellgrüner, moosiger Wald erwartet uns mit knorrigen, uralten Bäumen, die ein undurchdringliches Dach bilden. Die Luft ist kühl-feucht und wird zusätzlich erfrischt durch einen munteren Bach, der kreuz und quer durch den Wald in die Täler weiter unten sprudelt. Entlang dem Bach ein Weg mit vielen Stufen, links und rechts vom Weg liegen mächtige Steinbrocken, vollkommen überzogen von hellgrün leuchtendem, weichem Moos. Auch die Stämme der Bäume zeigen die gleiche Bedeckung, und das dämmrige Licht lässt die Moose fluoreszierend schimmern im schwindenden Licht des Abends und verleiht dem Wald etwas elfenhaftes.
So jedenfalls habe ich es damals, 2010 beschrieben. Der Wald ist immer noch wunderschön und von einem fluoreszierenden Grün, elfenhaft ist hier jedoch nichts mehr. N und ich sind uns aber einig, dass die Touristenmassen natürlich den Bauern aus den umliegenden Dörfern die Möglichkeit bieten, etwas dazu zu verdienen und ihre Produkte zu verkaufen. Darum gewinnen wir dem Treiben durchaus etwas Positives ab.
Natürlich kommen wir auch heute nicht bis nach oben zur Burg: wir haben schon eineinhalb Stunden, bis wir vom Parkplatz bei der letzten Verkaufsbude oben im Wald sind. Sie steht genau dort, wo wir bereits das letzte Mal umgekehrt sind...
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<![CDATA[In Anzali]]>Mon, 03 Sep 2018 22:00:00 GMThttp://www.elizei.ch/iran-2018/in-anzaliIn Anzali angekommen: Bandar Anzali ist einer der wichtigsten Häfen der iranischen Kaspi-Küste. Neben dem grossen Hafen bietet Anzali aber auch eine schöne Küste, ein grosses Naturschutzgebiet (Mordar Anzali), wo Millionen von Zugvögeln jeweils überwintern, ein breites Touristisches Angebot (wo die „Zugvögel“ aus dem heissen Süden den Sommer verbringen) und eine Zollfrei-Zone zum Einkaufen. Es gibt ein Aquarium, am Strand werden Jet-Skis und Boote vermietet und man kann Wasserski fahren. Die Villa des Cousins liegt in einem grossen, bewachten Komplex ausserhalb von Anzali. Wir fahren durch den Komplex auf der Suche nach der Richtigen Adresse an mediterranen Gärten und wunderschönen Villen vorbei und finden unser Ziel in der zweiten Reihe vor der Küste: ein Anwesen, das über tausend Quadratmeter gross ist, mit einem wunderschönen Garten mit Blumen, Palmen, Rosenbögen und Orangenbäumen. Die Villa selber stammt aus den Siebziger Jahren und bietet auf 250 Quadratmetern genug Platz, um unsere ganze Familie (wir sind zu zehnt unterwegs) bequem unter zu bringen. Der ganze Spass kostet monatlich umgerechnet rund 300 Franken, ein Vermögen für iranische Verhältnisse. Die armen Verwandten sind etwas verunsichert: der Begriff „Villa“ bedeutet umgangssprachlich häufig einfach „Ferienhaus“ und sagt noch nichts über Grösse und Komfort aus. Hier ist offensichtlich aber sehr viel Reichtum im Spiel, dies zeigt sich auch an der diskret in der hinteren Auffahrt parkierten BMW Limousine. Wir werden aber alle äusserst herzlich empfangen und es gibt keine Spur von Standesdünkel. Auch nicht gegenüber der Haushalthilfe, die diskret in der Küche werkelt oder gegenüber dem Gärtner, der für den Unterhalt und Bewässerung der schönen Gartenanlage besorgt ist.


Der Cousin hat sein Chemiestudium noch zu Zeiten des Schahs in Teheran absolviert, ist dann zum Doktorieren nach Bonn und hat nach verschiedenen Stationen als Chemiker vor allem im Bereich Oliven, eine eigene Düngemittelfabrik eröffnet und ist durch viele Jahre harter Arbeit, einem guten Geschäftssinn, jonglieren mit der Regierung und den Behörden zu ansehnlichem Vermögen gelangt. Die Unternehmensleitung mitsamt Fabrik hat der fast Achtzigjährige vor einigen Jahren seiner Tochter übergeben. Sie ist ebenfalls in Anzali, wenn auch nur kurz: sie muss noch den Abendflieger nach Teheran erreichen, da sie morgen früh eine wichtige Sitzung hat. Sie ist eine freundliche, moderne junge Frau, verheiratet, ohne Kinder dafür mit Katze, braungebrannt, sportlich und redet perfekt Englisch. Wir fragen, ob es in der männerdominierten Gesellschaft Irans nicht schwierig ist, sich als Unternehmerin durchzusetzen. Sie wiegelt ab - häufig sei es ein Vorteil, als Frau Geschäfte zu machen, dann etwa, wenn Abnehmer nicht bezahlen. Wenn sie als Frau das Geld einfordert, dann klappe dies meistens sehr gut: Die Männer sind beschämt, sich von einer Frau mahnen lassen zu müssen und regeln den Ausstand viel schneller. Häufig seien aber auch Preis- oder Vertragsverhandlungen einfacher, da die Männer dazu tendieren, sie als Frau nicht ernst zu nehmen, was mit etwas taktischem Geschick zum eigenen Vorteil ausgenützt werden kann. Es ist aber allen klar, dass eine Frau in Iran um erfolgreich zu sein, in jedem Bereich fleissiger, besser, gewiefter, durchhaltewilliger und insgesamt härter im Nehmen sein muss als die Männer.


Natürlich haben alle ihre Badesachen dabei, auch die Frauen haben ihr „Maillot“, ihr Badkleid dabei. Und natürlich darf Frau nicht einfach an den Strand, die Kleider ausziehen und mit Badkleid oder gar Bikini schwimmen gehen. Für Frau gibt es am kaspischen Meer zwei Möglichkeiten: Entweder in ein Frauenbad oder mitsamt Kleider und Kopftuch ins Wasser. Wir diskutieren die Alternativen: Die Damen möchten mich gerne auf westliche Art ins Wasser bringen. Dazu müssten wir aber zuerst eine Frauenbad finden und wahrscheinlich wieder eine Fahrt kreuz und quer durch Anzali und seine Touristenmassen machen. Andererseits müssten wir uns aufteilen, denn natürlich dürfen die Männer und die Jungs nicht mitkommen. Ich bin unschlüssig: Sicher wäre es eine interessante Erfhrung, ein iranisches Frauenbad zu besuchen. Andererseits finde ich es schade, wenn wir nicht alle miteinander gehen können. So beschliessen wir, das Frauenbad Frauenbad sein zu lassen und ziehen alle zusammen in der Dämmerung an „unseren“ Strand hinunter. Hier hüpfen die Damen allesamt mit den Kleidern – und die älteren unter ihnen mit Kopftuch – in die Wellen und tollen ausgelassen fast eine Stunde im lauwarmen Kaspiwasser herum. Ich begnüge mich damit, meine Hosen hochzukrempeln und vom seichten Wasser aus das Treiben zu beobachten und zu fotografieren...


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<![CDATA[Nach Anzali]]>Sun, 02 Sep 2018 22:00:00 GMThttp://www.elizei.ch/iran-2018/nach-anzaliWir haben eine Einladung von einem Cousin von N nach Anzali. Sie mieten dort jeweils auf Jahresbasis eine Villa am Kaspischen Meer und nachdem wir ihre Einladung in ihr Haus im Norden von Teheran abgelehnt hatten - ich meide den Moloch Teheran, wo immer es geht - konnten wir die Einladung ans Meer fast nicht ausschlagen. Die Zeit fängt an, knapp zu werden, und diverse andere Einladungen stehen noch aus, so dass wir anfangen müssen, tagesscharf zu planen. Zwei Nächte können wir zusagen, mehr nicht. Sozusagen als Kompensation für den kurzen Aufenthalt, laden wir kurzerhand die ganze Familie ein, mit uns zu kommen. So sind wir am Montag wieder einmal mit zwei vollgepackten Autos unterwegs von Rudbar über Rasht nach Anzali. In Rasht ist der Verkehr haarsträubend: Stossstange an Stossstange und Kotflügel an Kotflügel quält sich der Verkehr durch die Stadt. Gerade als ich N erzähle, ich hätte irgendwo gelesen, dass der Verkehr in Rasht zum schlimmsten in Iran gehört, knallt es: hinter uns hat jemand nicht aufgepasst und ist in den Vordermann geknallt und dieser wiederum erwischt uns von hinten. Unser Hintermann ist das Auto, das mit der einen Hälfte unserer Familie gefüllt ist. Wir versichern uns, dass niemand verletzt ist und dann beginnt die Abwicklung des Blechschadens. Der Verursacher entschuldigt sich wortreich, es ist klar, dass der Fehler bei ihm lag (Telefon am Steuer) und er versucht sich gar nicht, sich herauszureden. Adressen und Telefonnummern werden ausgetauscht, die Versicherungspapiere hervorgekramt („Bime“). Es wird wortreich diskutiert und schliesslich entschieden, in die nächste Werkstatt zu fahren, um den Schaden schätzen zu lassen. Die nächste Werkstatt ist nicht weit: Wohlweislich unterhalten mehrere Unternehmen an den grossen Boulevards Werkstätten, so dass bei einem Schaden an einer der grossen Ein- und Ausfallstrassen Rashts Hilfe kaum jemals weit ist. Der Schaden wird geschätzt und auf der Basis der Schätzung unterschreibt der Unfallverursacher und die Werkstatt einen Versicherungs-Coupon, der den Geschädigten berechtigt, den Schaden zu reparieren und den Schaden bei der Versicherung geltend zu machen. Ich bin offen gestanden etwas erstaunt, wie zügig alles abgewickelt ist: insgesamt verlieren wir durch den Unfall kaum eine Stunde.


Wir durchqueren Rasht ohne weitere Zwischenfälle und gelangen auf die Ausfallstrasse nach Anzali. Hier reiht sich Autohaus an Autohaus mit teuren Importautos: Toyota, Lexus, BMW, Merzedes. Man merkt, dass hier im Norden Geld vorhanden ist, die Unterschiede sind aber auch entsprechend gross zwischen jenen, die Geld haben und jenen ohne Geld. Auf den Strassen sind verschiedene Abfallsammler unterwegs, die mit grossen Handkarren durch die Stadt ziehen und Karton oder PET einsammeln und verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. An den Boulevards wechseln sich grosse Werbeplakate für Internetdienstleistungen, Vergnügungsparks, Restaurants und Möbelhäuser ab mit grossflächigen Ermahnungen Ayatollah Chameneis, einheimische Produkte zu kaufen. Andere Plakate werben mit Fotos von jungen Männern und weissen Tauben für den Eintritt in die Revolutionsgarden und das Grün zwischen den Boulevards säumen Stangen mit iranischen Flaggen und Bildern der Märtyrer des Iran-Irakkrieges der Achtziger Jahre. Ein Plakat mit dem Bild von Chamenei wendet sich direkt an Donald Trump: „Im Namen des iranischen Volkes, Sie irren sich, Herr Trump!“.


Hier im Norden, wo das ganze Land hinfährt, um sich zu erholen und zu vergnügen, scheint es der Regierung besonders geraten, mahnend ins Privatleben hineinreichen. Ich erinnere mich an unseren Besuch auf der Assassinen-Festung Alamut, die wir 2010 besucht haben. Nach einem Aufstieg über hunderte von Treppenstufen hinauf in die sagenhafte Festung, war das erste, was wir sahen, ein überdimensioniertes Plakat mit der Ermahnung, dass die Kleidervorschriften auch hier oben einzuhalten sind. Oder in Yazd, wo wir die zoroastrischen Totentürme besichtigt haben und uns laufend drei mit Gewehren bewaffnete Basidj auf Motorrädern gefolgt sind. Einer davon sogar zu Fuss bis hinauf auf die Plattform des Turmes. Die Regierung mag es nicht, wenn sich die Leute für Themen und Stätten interessieren, die nicht mit dem Islam zu tun haben. Kurz nach der Revolution liess man sogar Bagger vor Persepolis auffahren mit dem islamistisch-fanatischen Ziel, diese Stätte der 2500jährigen persischen Monarchie zu zerstören. Der Protest tausender Iranerinnen und Iraner hat dies verhindert. Möglicherweise war Ayatollah Khomeini der Meinung, das Volk dürfe nicht mit einem Zuviel in kurzer Zeit überfordert werden und wende sich dann selber - sobald es die Vorteile und Errungenschaften der islamischen Statthalterschaft erkannt habe - von den Stätten des Unglaubens ab. Dies stellte sich jedoch als Irrtum heraus: Ganz egal, welches die Meinung der Iranerinnen und Iraner zur Regierung des Schahs und seines in Persepolis pompös gefeierten Jubiläums der iranischen Monarchie ist: Sie haben sich nie von der grossartigen Geschichte und dem grossen kulturellen Erbe ihres Landes abgewandt.


Die Regierung greift überall tief in das Leben der Iranerinnen und Iraner ein. Nicht nur dort, wo es direkt sichtbar ist oder in westlichen Medien aufgenommen wird, wie beispielsweise bei den Kleidervorschriften für die Frauen oder bei der Zensur von Internet und Medien, durch die Verhaftung von Internet-Bloggern oder Demonstranten, Menschenrechtsaktivisten, Umweltaktivisten, Homosexuellen oder Frauenrechtlerinnen. Sondern auch über subtile pseudo-intellektuelle Diskussionssendungen im Fernsehen, lehrhafte und lehrerhaft aufbereitete Dokumentationen oder endlosen Tiraden der Muezzin über die Lautsprecher der Dorfmoscheen. Sie alle sind dazu da, väterlich-streng das unbedarfte Volk wie Kinder an der Hand durch die Unwägbarkeiten des wirtschaftlichen und politischen Lebens hin zu einer islamisch-religiösen, reinen Lebensart zu führen. Die Regierungsform der islamischen Republik mit ihrem geistlichen Oberhaupt nimmt die Bevölkerung des Landes nicht als mündige Individuen war, sondern als ständig in Versuchung geratende, geistig zurückgebliebene Kinder. Entsprechend werden die sinnlosesten Dinge diskutiert, etwa die moralische Wertigkeit der modernen Haarschnitte junger Männer (dies war im Ernst ein aktuell diskutiertes Thema bei unserem letzten Besuch in 2010).


Dies alles führte in den letzten vierzig Jahren dazu, dass man eine Art Doppelleben führt. Eines in Gegenwart der Wächter draussen und ein privates zu Hause. Oder wie es jemand beschreibt: „Das Leben der Iranerinnen und Iraner erinnert an ein Schauspiel: Wir stehen in einer bestimmten Rolle vor dem Vorhang und kehren zu uns selber zurück, sobald der Vorhang gefallen ist“. Aber auch in der Öffentlichkeit werden immer wieder die Grenzen ausgelotet: Kopftücher demonstrativ nach hinten geschoben (zwar nicht abgenommen, aber so weit hinten, dass sie eigentlich mehr Halstücher sind), Hosen und Ärmel gekürzt, im Park von Paaren Händchen gehalten. Alles Vergehen, die auf der Polizeiwache enden können. Satellitenempfänger sind nach wie vor verboten - und doch gibt es kaum ein Dach in den grösseren Städten, auf dem nicht ein Empfänger montiert ist (ein weiteres Plakat von Chameinei: „Ausländisches Fernsehen zerstört den Frieden in der Familie“).  
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