Nach dem Besuch in Abanyeh fuhren wir nach Kashan zurück. Hier teilten wir uns auf: Da die meisten am nächsten Tag wieder arbeiten mussten, würden sie nach Karaj zurückfahren. N und ich blieben in Kashan zusammen mit unserer Nichte Sofiya. Sie hatte von unterwegs aus die nächsten zwei Tage organisiert: Wir sollten von Kashan aus mit dem Taxi in die Maranjab-Wüste fahren und am Abend in einem Hostel übernachten. Am nächsten Tag würden wir mit einem Fahrer frühmorgens eine Tour in die Wüste starten. Wir machten uns also auf die Suche nach einem Taxi, das uns in das Hostel bringen sollte und schon bald konnte unser Wüstenabenteuer beginnen. Etwa 5 km ausserhalb von Kashan geht die Strasse in eine Piste über und man muss einen Checkpoint vom Militär passieren: ein Teil der Fahrt zum Hostel führt durch militärisches Gebiet, wo Tests für Mittelstreckenraketen durchgeführt werden. Wie zu erwarten, gibt es Schwierigkeiten, weil ich Ausländerin bin - man will mich nicht passieren lassen. Wir bestehen darauf, dass ich Iranerin bin. Schliesslich durfte ich nicht mit meinem Schweizerpass einreisen, sondern musste den iranischen verwenden. Da Iran keine Doppelbürgerschaft anerkennt, gelte ich im Land als Iranerin. So weisen wir meinen Pass vor. Das reicht jedoch nicht - man sehe ja, dass ich Ausländerin bin. So viel gesunde Logik macht mich etwas sprachlos, aber wir geben nicht auf: schliesslich habe ich ja noch mein „rotes Büchlein“ dabei. Dieses ist eines der wichtigsten Dokumente im offiziellen Leben der Iraner. Unser Gegenüber staunt, nimmt das rote Heftchen entgegen und studiert es ausgiebig. Dann schüttelt er jedoch den Kopf: wenn ich keine „Carte Melli“ hätte, dann nütze alles nicht. Die Carte Melli ist so etwas wie eine Mischung aus Identitätskarte und Sozialversicherungsausweis. Natürlich habe ich keine Carte Melli und sehe unsere Expedition in die Wüste schon gescheitert, als N und Sofiya das schwere Geschütz auffahren: Es gäbe sicher eine Möglichkeit, er solle doch mit seinen Vorgesetzten telefonieren, ja, sofort, gerade jetzt, bitte, sehr freundlich, danke. Beide reden wortreich auf den Hüter der Schranke ein, ich verstehe die Taktik und mische mich ebenfalls ein, mit den paar Brocken, die ich persisch kann: Lotfan, cheili mahmnun, taschakord - egal was, Hauptsache reden, aber nie die Höflichkeit und den Respekt vermissen lassen. Als sich unser Taxifahrer ebenfalls einmischt, und wir im Quartett alle diplomatischen Register ziehen, wird es dem Mann wohl zu viel und er zieht sich in seine Baracke zurück, um tatsächlich ein Telefon zu machen. Ich werde den Verdacht nicht los, dass er nur so tut, als ob er telefonieren würde, er murmelt etwas ins Telefon, aber insgesamt habe ich eher den Eindruck, als bräuchte er eine Pause vor uns und unserem Drängen und vor allem eine Möglichkeit, dem Ganzen Spuk ein Ende zu bereiten, ohne das Gesicht zu verlieren. Und tatsächlich lässt er uns mit einem Brummen passieren. Gerade als wir zum Wagen zurückkehren fährt ein Offroader vor, dem neben einem jungen iranischen Fahrer zwei Westlerinnen entsteigen. Noch bevor unser Fahrer den Wagen gestartet hat, sind sie abgefertigt und können ebenfalls losfahren. Später erfahre ich, dass - bucht man eine Tour in Kashan oder Teheran - im Preis die „Spezial-Gebühr“ für die Durchfahrt von Ausländern bereits enthalten ist. Bald haben wir unser Hostel erreicht, das in einer Oase liegt und sogar über einen Teich mit Fischen und über einen kleinen Springbrunnen auf der Terrasse verfügt. Hier planen wir im Schatten des Hauses und einer Brise, die sich anfühlt wie der Haarföhn auf höchster Stufe, den nächsten Tag: Wecken um fünf, Abfahrt um 5.30 Uhr, Rückkehr am Mittag - länger in der Wüste zu bleiben, empfiehlt man uns nicht, es werden gut 50 Grad erwartet. Nach einem auch für iranische Verhältnisse späten Abendessen kriechen wir nach Mitternacht in die mitgebrachten Stoffschlafsäcke. P.S.: Da Vollmond ist, überstrahlt dieser leider den ganzen Sternenhimmel, so dass man - obwohl die Lichtverschmutzung hier nur sehr gering ist - kaum einen Stern sehen kann. Dafür hat das silberne Licht des Mondes über den Sanddünen durchaus auch seinen Charme... Hier nochmals einige Fotos (anklicken zum Navigieren):
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Das Internet ist in Iran fest in der Hand der Regierung. Viele ausländische Dienste und Webseiten sind dauerhaft gesperrt oder werden jeweils je nach Lage der Nation ad hoc gesperrt. So sind beispielsweise Facebook, Youtube, Twitter und andere Soziale Medien in Iran nicht aufrufbar. Diverse Zeitungen und Nachrichtendienste – vorwiegend aus den USA – ebenfalls nicht. Auch mein Website-Builder Weebly ist – obwohl mit einer Schweizer Adresse verbunden – nicht aufrufbar. Neben der Sperre und der Internetzensur fährt die Regierung regelmässig die Übermittlungsgeschwindigkeit herunter. So sind dann zwar Internetseiten aufrufbar, aber die Geschwindigkeit ist so langsam, dass man das Gefühl hat, man sei grad so schnell nach Europa gereist, um die Seite vor Ort anzusehen, wie sie hierzulande geladen wird. So wird das Beobachten eines drehenden Rädchens oder eines sich mit ätzender Langsamkeit füllenden Download-Balken zu einer wahren Zen-Übung!
Zum Glück sind die Iraner in allen Lebenslagen selten um Lösungen zur Behebung der vielen Mühseligkeiten des täglichen Lebens verlegen und haben technisch aufgerüstet. Nirgends in der Welt werden wohl so viele VPN-Verbindungen verwendet, wie hierzulande. Mit teilweise bis zu drei oder vier unterschiedlichen VPN-Providern werden Daten verschlüsselt, Standort-Adressen verschleiert und den Iranischen Zensur-Mitteln vorgegaukelt, dass der Aufruf einer gesperrten Seite eben nicht aus dem Iran erfolgt, sondern über einen Server in den USA oder Europa. Auch ich bin unterdessen – dank eines unserer technikbegabten Neffen in Iran – stolze Besitzerin von drei VPNs auf meinem Handy sowie auf dem iPad geworden. Und dank dem eingebauten VPN in meinem neuen Internetbrowser Opera, komme ich nun auch wieder auf meinen Blog. Auch bezüglich Internet-Zugang und Geschwindigkeit wurde ich aufgerüstet: Eine „aufgemotzte“ iranische SIM-Karte mit gefühlten tausend Gigabite sorgt – über das iphone mit dem Computer verbunden – für durchaus annehmbare Geschwindigkeiten. Sofern überhaupt ein Handy-Empfang besteht, versteht sich... An dieser Stelle meinen herzlichen Dank an meinen technikbegabten Neffen Marc in der Schweiz, der spontan eingesprungen ist und einige Texte während meiner zensurbedingten Blogabwesenheit publiziert hat! Die Technik für die Internetzensur hat Iran übrigens ganz legal von Nokia Siemens Network gekauft. Nokia Siemens Networks behauptete, dass das System nur die Funktionalität zur Überwachung illegaler Vorgänge besitze. Trotzdem kritisierte das Europäische Parlament Nokia/Siemens im Jahr 2010 scharf für die Lieferung von für Zensur und Überwachung notwendige Technologien an die iranischen Behörden, die der Verfolgung und Verhaftung iranischer Dissidenten dienen. Ebenfalls wird Technik von der US-amerikanischen (sic!) Firma Secure Computing entwickelte Content-Control Software Secure Computing eingesetzt. Secure Computing gab an, die Software nicht an den Iran verkauft zu haben, die Behörden nutzten die Software illegal ohne Lizenz. Jeder Internetdienstanbieter (ISP) muss vor seiner Inbetriebnahme von der Telecommunication Company of Iran (TCI) und dem Ministerium für Kultur und Islamischer Unterweisung bewilligt werden. Die Verwendung von Filtersoftware für Websites und E-Mails ist vorgeschrieben. Laut iranischen Pressemitteilungen hat die Regierung für die ISPs 2003 eine Liste mit 15.000 zu blockierenden Seiten erstellt. ISPs werden bei Nichteinhaltung der Filterbedingungen zu hohen Geldstrafen verurteilt. Im Jahre 2013 wurde bekannt, dass die Regierung ein eigenes Intranet für Iran plane, das 2015 in Betrieb genommen werden sollte und den Iran vom Globalen Internet komplett abkoppeln sollte. Dies ist bis heute jedoch nicht der Fall. Übrigens hätte ich gerne noch das eine oder andere weitere Kluge zum Thema gesagt. Dafür hätte ich aber Unterstützung aus dem Netz benötigt. Es darf dreimal geraten werden, was passierte, als ich die Suche „Internetzensur im Iran“ in Google eingab: Genau, die Seite wurde gesperrt. 22.8.2018 - Kashan Kashan liegt am Rande der Dast-e-Kavir im persischen Hochland. Die Stadt ist bereits seit vielen Tausend Jahren bewohnt - Ausgrabungen in Tepe Sialk fanden sich Häuser aus dem 6. Jahrtausend v. Chr., einige der ältesten Zeugnisse von Metallgewinnung aus dem 4. Jahrtausend, protoelamitische Schrifttafeln, Rollsiegel, Keramiken aus dem 3. Jahrtausend und eine von vier bekannten elamitischen Zikkurats. Im Mittelalter war Kashan vor allem für seine Keramik berühmt: Der persische Name für Keramik, „Kashi“, leitet sich von Kashan ab. Hier wurden bereits sehr früh die glänzenden Kacheln in Blau und rosa hergestellt, welche vor allem für Innenräume wie etwa Gebetsnischen in Moscheen verwendet wurden: Der Glanz der Kacheln muss im flackernden Schein der Öllampen eine ganz besondere Lebendigkeit gehabt haben. Die Keramikproduktion verlor im laufe des 14. Jahrhundersts an Bedeutung - sie wurde abgelöst durch Textilproduktion. Kashan liegt neben Kerman, Yazd, Isfahan und Qom an der südlichen Seidenstrasse und gehörte neben Yazd und Isphahan im 16. und 17. Jahrhundert zu den wichtigsten Zentren der Prodiktion persischer Brokat- und Seidenstoffe. In ihrer Blütezeit wurden Seidenstoffe mit Abbildungen aus der persischen Literatur im Stil der Miniaturmalerei hergestellt. Im 16. Jahrhundert etablierte der kunstsinnige Safawidenkönig Abbas I. der Grosse (1587–1529) - er gilt als einer der bedeutendsten Förderer der Persischen Kunst, insbesondere der Teppichknüpfkunst - die ersten Teppichknüpfmanufakturen, die bald zu höchster Blüte gelangten. Wie bei vielen anderen Perserprovenienzen auch, ist der Ort Kaschan Stapelplatz und daher Namenspate für alle im Umland geknüpften Teppiche. Die Sammelbezeichnung erstreckt sich auf etwa achtzig Dörfer und Flecken. Kaschan-Teppiche gehören zu den besten klassischen Orientteppichen. Die Knüpfung erfolgt mit dem persischen Knoten, nicht mit dem bei Perserteppichen weit verbreiteten türkischen Knoten. Die Knüpftechnik geht vermutlich auf die Seldschuken und deren Invasion im 11. Jahrhundert zurück. Kashan ist auch berühmt für sein Rosenwasser. Hier ganz in der Nähe - in Qamsar - liegt das Zentrum der orientalischen Rosenwasserproduktion. Die Kaaba in Mekka wird jährlich einmal mit Rosenwasser aus Qamsar gewaschen. Die Rosen für das Wasser stammen aus den Rosengärten rund um Kashan und die Rosenblüten werden im Mai und Juni geerntet. Anschliessend werden sie in grossen Kupferkesseln gekocht und der Dampf über ein Rohrsystem in wassergekühlte Kupferkannen geleitet, aus denen das halbfeste Rosenöl abgeschöpft wird. Kashan ist über den Handel und seine Lage an der Seidenstrasse zu erheblichem Reichtum gelangt. Davon zeugen diverse traditionelle Häuser, die einst wohlhabenden Kaufleuten gebaut wurden und von denen einige besucht werden können oder welche zu Hotels umgebaut worden sind wie etwa das Abbasi-Haus, das Boroujerdi-Haus oder das Haus der Tabatabai oder der Fin Garten (Bagh-e-Fin). Interessanterweise findet sich in keinem meiner historischen Reiseberichten eine ausführliche Beschreibung von Kashan – weder unter dem aktuellen Namen noch unter der Schreibweise Keshan oder Cassan. Offenbar liessen die Reisenden des 18. und 19. Jahrhunderts die Stadt links liegen und reisten so schnell wie möglich weiter nach Sin-Sin und Qom. Die einzigen Einträge, die sich finden, sind der Hinweis auf äusserst viele Skorpione und die Feigheit der Kashani. Diese ist heute noch sprichwörtlich: Man sagt, der mutigste Bewohner der Stadt sei der Strassenköter hinter dem Bazar. Man erzählt sich, dass ein Regiment von Kashani nach seiner Entlassung aus dem Kriegsdienst Begleitschutz (!) für die Heimreise nach Kashan verlangt habe. Hier einige Bilder (anklicken zum Navigieren): 22.8.2018: Abreise nach Kashan
Eines meiner Ziele während dieser Reise war es, Kashan zu besuchen. Hier hatten wir 2010 leider nur einen kurzen Halt eingelegt und die Fin Gärten besucht. Anschliessend sind wir direkt nach Isfahan weitergereist - insbesondere N ist nicht wirklich warm geworden mit Kashan, einer Wüstenstadt, die ihre schönen Seite sehr erfolgreich hinter hohen, staubigen Lehmmauern versteckt. Es ist beschlossene Sache, dass uns die Hälfte der Familie begleiten wird. Natürlich habe ich nichts dagegen - es wird vermutlich sehr chaotisch und anstrengend, aber sicher auch lustig. Die Planung sieht vor, dass wir in zwei Autos nach Kashan fahren - wir haben Glück, und in dieser Woche ist der Mittwoch ein Feiertag, und da der Freitag Freitag ist, kann der Donnerstag als Brücke benutzt werden. Es ist geplant, dass wir am Mittwoch nicht in Kashan sind, sondern direkt weiterfahren in die Wüste, um mindestens eine Nacht dort zu verbringen. Am Freitagabend wird der grösste Teil der Familie wieder zurück nach Karaj fahren und wir noch ein oder zwei Tage in Kaschan verbringen. Dass das vorher ausgehandelte Programm kurzfristig umgestossen wurde, erfahre ich, als wir kreuz und quer durch Kashan fahren und uns „Appartmans“ ansehen - Zimmer, die meist von Privatleuten angeboten werden und über Bad, Wohnzimmer und Küchenzeile verfügen. Als die Worte „Emschab“ und „do rus“ fallen, werde ich misstrauisch: Natürlich wurde das Programm kurzfristig geändert: „Kavire garm hasd“ und „to chaste schodi“ - die Wüste ist heiss und Du bist müde. N hat vergessen, mich über die Planänderung zu informieren, die über diverse Telefonische Kontakte auf der Herreise zwischen den beiden Autoparteien ausgehandelt worden war. Warum bin ich nicht wirklich überrascht? Mir spielt es ja eigentlich nicht wirklich eine Rolle. Aber: es ist auch N klar, dass ich mich nicht von Kashan wegbewegen werde, bevor ich nicht in der Wüste war - grins! Natürlich werden diverse schöne grosse Appartmans als mögliche Unterkunft verworfen – einerseits findet sich vielleicht noch etwas besseres, zentraleres, andererseits könnte bei entsprechender Zurückhaltung noch etwas beim Preis herausgeholt werden. Und natürlich sind wir nicht die einzigen Interessenten an diesem Feiertag und am Ende bleibt nur eine etwas spärliche Unterkunft in der Nähe der Fin-Gärten übrig. Man wird sich schliesslich – nach vielem hin- und her und einem ziemlich unfreundlichen Fauchen von N, der offensichtlich hungrig ist - handelseinig und die Familie fängt an, Essen, Decken, Picknickkörbe, Taschen und Getränke auszuladen und auf die beiden erfolgreich gemieteten Zimmer zu verteilen. Wir richten uns also mit acht Erwachsenen und zwei Kindern auf gut 20 Quadratmetern ein, stellen den scheppernden „Cooler“ ein und trinken zuerst einmal ein Glas Tee. Ach ja: es gibt zwei Doppelbetten und eine schier unbegrenzte Anzahl Schlafmatten, die säuberlich zusammengefaltet darauf warten, auf die Nacht hin aufgerollt zu werden und uns allen einen Schlafplatz zu garantieren... Anschliessend fahren wir in die Stadt und spazieren durch den mittlerweile schon fast menschenleeren Basar. Abendessen gegen 22 Uhr in einem öffentlichen Park auf einer Anhöhe vor Kashan mit schönem Blick auf die beleuchtete Stadt bei angenehmen 36 Grad auf traditionell-persische Art als Picknick. Am Mittag haben uns unsere Nichten aus dem Haus getrieben: Einkaufen war angesagt. Also den Schal umgelegt und los - ich bin erstaunt, wie locker die jungen Frauen hier Nahe der Hauptstadt mit den Kleidervorschriften umgehen: Der Manteau - bei unserem letzten Mal hier noch bis oben zugeknöpft - hängt nun offen und locker von den Schultern. Darunter trägt Frau nun Bluse, T-Shirt und ähnliches und statt die langen, eher unförmig geschnittenen weiten Hosen bestimmen Leggins und sogar Capri-Leggins die Beinbedeckung. Der Schal ist locker über den Haarknopf drapiert, hängt fast einem Haarteil gleich über die Schultern. Haare und Hals sind weit davon entfernt, bedeckt zu sein. Die Schuhe sind offen, die Nägel lackiert, die Fesseln und häufig auch die Unterschenkel zeigen nackte Haut und ab und zu sogar ein Tatoo. Offensichtlich haben wir wieder eine „milde Phase“ erwischt, eine Zeit, wo die Sittenwächter weniger streng durchgreifen und die Frauen sich die Freiheit ausnehmen können, die islamischen Kleidervorschriften zu dehnen und strecken wie amerikanischer Kaugummi. Was für ein erfreulicher Unterschied gegenüber dem letzten Mal als wir hier waren! Zwar sass auch damals das Kopftuch etwas lockerer, aber offene Schuhe, Leggins ohne geschlossenem Mantel bis zu den Kinien oder sogar nackte Unterschenkel war vor 8 Jahren noch völlig undenkbar!
Unsere beiden Nichten schleppen uns zielgerichtet in ein Kleidergeschäft, welches sich unter anderem auf schicke Manteaus spezialisiert hat: Sie haben es sich in den Kopf gesetzt, ihrer Sana‘Dei, ihrer Tante aus der Schweiz einen modernen Hijab zu verpassen: Mantel, Hemd und Hose wollen gekauft sein. Mir schwant einiges: Ich entspreche mit meinen über 1.80 Metern, den Hüftringen und meinem sich allzu bereitwillig gravitationsbedingt Richtung Knie aufgemachten Bauch und Hinterteil nicht wirklich dem iranischen Mannequin: Die meisten Frauen erreichen kaum 1.65 Meter und wer mit dieser Körpergrösse als Dick gilt, erreicht dennoch kaum eine Europäische 44. Die hübsche - und natürlich mit iranischen Model-Massen gesegnete - Verkäuferin blickt zu mir hinauf und überlegt sich wohl, wie sie meinen Nichten möglichst höflich klarmachen kann, dass für dieses Ungetüm von Frau höchstens ein Mantel, keineswegs jedoch eine Hose oder eine Bluse zu finden sein wird. Ich lächle sie fröhlich an und erlöse sie mit einem beruhigenden „no Problem“. Die jüngere meiner Nichten hat sich jedoch bereits in den Kopf gesetzt, dass ich eine elegante Leinenhose probieren soll. Ein schönes Stück - aber ich sehe schon von weitem, dass sie nicht nur zu eng wäre, sondern auch lächerlich kurz. Ich lasse mich dennoch dazu überreden, sie zu probieren, natürlich mit dem erwarteten vernichtenden Ergebnis. Aber einen hübschen Mantel finden wir und am Ende sind wir alle zufrieden... Gestern angekommen: der Flug war problemlos, entgegen den Informationen auf dem Interne zur Flugroute sind wir nicht über Nordsyrien und Irak geflogen, sondern über die Türkei und Armenien. Erst südlich von Eriwan änderte man Kurs und steuerte die Iranische Grenze an. Kurz bevor das Flugzeug über Nordiran in den Sinkflug ging, entstand Bewegung beim weiblichen Teil der Flugpassagiere: Die Gepäckaufbewahrungen wurden geöffnet, Handkoffer hervorgeholt, „Manteau“ und Schals herausgesucht und es dauerte nicht lange, bis sich lange Schlangen vor den Toiletten bildeten: Enge T-Shirts, ausgeschnittene Blusen, kurze Röcke mussten ausgetauscht werden gegen die den islamischen Kleidervorschriften entsprechende Damenkleidung. Kurz vor der Landung waren Haare und Nacken ordentlich bedeckt und die höfliche Damenstimme, welche die Passagiere nach der Landung auf dem Weg zum Terminal die Fluggäste auf persisch und Deutsch auf die geltenden Kleiderbestimmungen aufmerksam machte, wäre gar nicht nötig gewesen. Ich hatte meinen Schal kurz vor der Landung ebenfalls ordentlich um den Kopf geschlungen - in bester Grace-Kelly-Mainier, nur nicht so elegant - und meine Stirnfransen versteckt.
Bei der Einreisekontrolle: Da wir mit iranischen Pässen einreisten, stellten wir uns in die Schlange der Einheimischen - bei den Schaltern für Ausländer standen lediglich eine Handvoll Leute, die zügig und unbürokratisch eingelassen wurden. Auch bei uns lief alles gut - der Beamte warf einen eher gelangweilten Blick auf den Pass von N und gab ihn sofort zurück. Mit meinem Pass nahm er sich seine Zeit, blätterte nach vorne und wieder nach hinten, tippte irgendetwas in den Computer, schüttelte den Kopf, tippte weiter - klackklackklack - startet angestrengt in den Monitor und verzog das Gesicht. Ich wurde langsam nervös, versucht aber, in gleicher stoischer Ruhe und ohne eine Miene zu verziehen wie N, dem Treiben gegenüber scheinbar völlig unbeteiligt zu wirken. Endlich schien er mit dem Resultat wenn nicht zufrieden, dann doch wenigstens soweit befriedigt, dass er mir den Pass mit einem letzten stechend-forschenden Blick wieder zurück gab. Beim Zoll: Die Vorschriften sehen eigentlich vor, dass man sich, ist man nicht in den letzten acht Monaten bereits einmal eingereist, durch die „rote Linie“ folgen sollte - dies ist der Weg, den auch jene zu gehen haben, die etwas zu verzollen haben. Kurz vor der Entscheidung, ob nun rot oder grün, sprach uns ein Zöllner an, woher wir kämen und winkte uns durch die grüne Spur, nachdem er gehört hatte, wir kämen aus der Schweiz. Offenbar nahm er an, dass wir weder illegale Waren noch Waren zum Verzollen mitbrächten, wenn wir aus der Schweiz kommen. Womit er natürlich zumindest in meinem Fall auch vollkommen recht hatte! In der Ankunftshalle dann grosses Hallo! Eine Nichte mit ihrem Mann ist gekommen, um uns abzuholen - wir werden sehr herzlich begrüsst und mir wird ein riesiger Blumenstrauss in die Arme gedrückt. Schon bald ist das Gepäck im kleinen Wagen verstaut und wir fahren los. Welcome to Iran! Die Freude bei Ns Familie ist gross über unsere Ankunft. Alle sind sie da und warten auf uns - die Schwestern von N, die Nichten und Neffen, die Kinder und die Ehemänner. Die Frauen umarmen und küssen uns, die Männer umarmen N und küssen ihn, und wenden sich mit der Hand auf dem Herz mir zu und begrüssen mich ebenfalls: ohne Handschlag, ohne Berührung und auf sicherer Distanz aber mit viel Freude und Ehrerbietung. Es ist nicht üblich in Iran, dass sich Männer und Frauen die Hand zur Begrüssung geben. Eine Sitte, die auf den ersten Blick vielleicht etwas unhöflich und frauenfeindlich wirkt. Und es oft wohl auch ist. Aber nicht in unserer Familie: Es ist unverkennbar, dass die Herren sich über meine Anwesenheit freuen, sie strahlen über das ganze Gesicht, verbeugen sich mehrmals mit der Hand auf dem Herzen und heissen mich mit eleganten Phrasen willkommen. Die jungen Neffen hingegen scheren sich nur halb um die Regeln, packen meine Hand und schütteln sie energisch-freudig und wünschen „Welcome to Iran - Chosch Amadi! We are very happy to see you!“ Und die jungen Frauen werfen sich mir mit einem Aufschrei um den Hals, drücken und küssen mich und plaudern fröhlich drauflos, persisch, englisch, deutsch, alles durcheinander, genau so wie meine Antwort: keiner versteht mein babylonisches Mischmasch - aber wen schert es! Um 7.10 Abflug von Zürich, Zwischenstopp in Wien. Nun sitzen wir im Flieger nach Teheran - Iran hat bereits in der Abflughalle in Wien beim Gate G 16 begonnen: Die Iranerinnen und Iraner sind in der Mehrzahl. Einige führen letzte Telefongespräche - lautstark unterhalten sie sich mit dem Handy, das sie ausgestreckt vor sich hin tragen und jeweils in die Runde schwenken, um ihren videotechnisch nähergebrachten Nächsten möglichst viel von der Umgebung zeigen zu können. Einige offensichtlich gutbetuchte ältere Herr- und Damenschaften werden mit einem Golfwagen direkt zum Gate gefahren und einem jungen Mann übergeben, der offensichtlich weiss, wer wann wohin gehört. Grund für diverse ältere Damen, die bereits seit mindestens 20 Minuten alle am Gate ankommenden gefragt haben, ob hier wirklich der Flug nach Teheran starte, den jungen Mann ebenfalls zu belagern und sich ein weiteres Mal darüber zu versichern, dass sie wirklich und wahrhaftig am richtigen Ort sind.
Eine zarte ältere Frau setzt sich mit einem zurückhaltenden Lächeln neben uns. N. wendet sich ihr zu und beginnt eines dieser wunderbar-kompliziert-höflichen Gespräche, wie sie unter Iranern üblich sind und von denen ich nie genug bekomme, sie zu beobachten: Nach einem ersten „Bitte schön, ist es erlaubt?“ und einem mit einem höflichen Lächeln begleiteten „natürlich, bitte setzen Sie sich, Madame“, folgt die erste Runde: „Wie geht es Ihnen, ich hoffe, gut?“, was die Antwort erfordert „Vielen Dank für Ihre freundliche Nachfrage, und Ihnen, ich hoffe, es geht Ihnen ebenfalls gut, Madame?“, was zu „Sie sind zu nett, so freundliche nachzufragen, ja danke, es geht gut!“. Dann geht es in die zweite Runde: „Darf ich vielleicht nachfragen, bitte, Sind sie auch Iraner?“ - diese Nachfrage ist unbedingt nötig, auch wenn das Gespräch bisher in schönstem Hoch-Persisch geführt wurde - denn man befindet sich schliesslich im Ausland. „Ja, natürlich, fühlen Sie sich frei, zu fragen! Ja, ich bin auch Iraner. Bitte entschuldigen Sie die Aufdringlichkeit, aber fliegen Sie nach Hause zurück oder leben Sie in Europa?“ Diese Frage ist nicht nur dazu da, beantwortet zu werden, sondern sie lädt dazu ein, zu erzählen. Von den Kindern in Österreich, die besucht worden waren, davon, dass sie die Zeit sehr genossen habe, aber doch alles sehr ungewohnt und fremd gewesen sei und sie nun - obwohl sehr traurig, da sie die Kinder nun einige Zeit nicht mehr sieht - wieder nach Hause in den Norden kann, wo ihre anderen Kinder leben und sie auch. Sie zeigt N. Ihr Ticket und bittet ihn etwas beschämt, ihr zu übersetzen, was auf dem Boarding Pass steht. Er übersetzt es ihr und es wird klar, dass die nette ältere Frau nicht viel anzufangen weiss mit den lateinischen Buchstaben. Sie hat weder Deutsch noch Englisch jemals sprechen gelernt, geschweige denn zu schreiben. Die Reise nach Europa muss eine riesige Herausforderung sein für sie. Wohl wurde sie wahrscheinlich von ihren Verwandten in Teheran und in Wien so weit wie es nur möglich war, ins Innere des Flughafens begleitet, aber im Grenzgebiet zwischen der Scheibe der Abflughalle und der Scheibe in der Ankunftshalle war sie inmitten des aviatischen Grenzgebietes ganz auf sich alleine gestellt. Ihre Verwandten haben sie wohl in bester persischer Manier verabschiedet: Im unerschütterlichem Vertrauen in die Hilfsbereitschaft der eigenen Landsleute im Abflugsbereich und mit so vielen Ratschlägen, Anweisungen und Aufmunterungen dass sie wohl vollends konfus geworden wäre, wäre sie nicht eine Iranerin sondern eine Europäerin - der Herr wird es schon richten, insch‘Allah! Nach dem Aufkünden des Atomabkommens mit Iran durch die USA hat sich die politische Situation in Iran im laufe der letzten Tage zugespitzt. Zuerst wurde Wirtschaftsminister Massoud Karbassian am Sonntag mit einer Vertrauensabstimmung abgesetzt. Die Debatte wurde in einem ausführlichen Beitrag in den staatlichen Nachrichten gezeigt und die einzelnen Voten zeigte eine äusserst grosse Unzufriedenheit vieler Parlamentarier mit der Regierung. Bereits Anfang August wurde auf dieselbe Weise der Arbeitsminister abgesetzt. Und vorgestern wurde der Präsident höchstselbst vor die „Madschlis“, das 250 Abgeordnete umfassende Parlament zitiert. Er sollte den Parlamentariern die Fragen erklären, weshalb es mit der Wirtschaft immer weiter bergab geht, warum die Arbeitslosigkeit im Land immer weiter ansteigt und wie es mit dem Land mit den Sanktionen weitergehen soll. Aufklärung wurde vom Parlament auch über den vermutlich von Revolutionsgardisten organisierten Schmuggel verlangt. Wirklich beantworten konnte der Präsident jedoch keine der Fragen befriedigend. Als Hassan Rouhani eine "amerikanische Verschwörung" für die sich zuspitzende Krise in seinem Land verantwortlich machte, brachen die Abgeordneten in lautes Hohngelächter aus.
Die Antworten des Staatspräsidenten auf seine Fragen wertete das Parlament als unzureichend, weshalb die iranische Justiz, ein Machtinstrument der konservativen Hardliner, nun prüfen soll, ob die Rouhani-Regierung gegen iranische Gesetze verstossen hat. Sollte dies der Fall sein, wären die Weichen für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Hassan Rouhani in der Teheraner Madschlis gestellt. Ob es jedoch schliesslich dazu kommen wird, ist noch offen: Noch hat der oberste Führer Ali Khamenei – der „Rahbar“ (Führer) und alleiniges Staatsoberhaupt des Iran – den Daumen nicht über Rouhani gesenkt. Die beiden Geistlichen sind seit Jahrzehnten gut befreundet. Ein demütigendes Amtsenthebungsverfahren will der iranische Revolutionsführer Rouhani daher wohl ersparen. Unterdessen hat er sich auch zum Atomabkommen geäussert: Er sprach sich für eine Fortsetzung der Bemühungen aus, das Abkommen gemeinsam mit den Europäern zu retten, äußerte sich aber skeptisch zu den Erfolgsaussichten. Die iranische Regierung sollte "bei Fragen wie dem Atomabkommen oder der Wirtschaft ihre Hoffnung nicht auf die Europäer setzen", erklärte er. "Wir müssen ihre Versprechen mit Skepsis bewerten." In politischen Fragen hat Khamenei im Iran das letzte Wort. Verhandlungen mit der Regierung in Washington schloss er erneut aus. Derweil wurde bekannt, dass der Geheimdienst mehrere ausländische Spione verhaftet habe. Dies wird hierzulande als Versuch gewertet, von den wirtschaftlichen Problemen abzulenken. Auch die Berichte zur Korruptionsbekämpfung wie etwa der über 10minütige Bericht diese Woche in den Nachrichten des iranischen Staatsfernsehens über ein Gerichtsverfahren gegen drei der Korruption angeklagte Beamte, werden mit Achselzucken abgetan: Die grossen Fische würden ohnehin nicht angetastet. Und die Meinung zu einem möglichen Absetzungsverfahren gegen Rouhani oder die Absetzung verschiedener Minister? Diese ist bei den Leuten, mit denen wir gesprochen haben ziemlich klar: Diejenigen, die nachrücken werden, sind mit Sicherheit nicht besser... P.S.: Meine Bitte, doch einmal die Nachrichten des iranischen Staatsfernsehens sehen zu dürfen, wurde mit etwas Verwunderung quittiert – die meisten Iranerinnen und Iraner schauen schon längst nur noch die Nachrichten ausländischer Fernsehkanäle an. Das Gepäck ist praktisch alles bereit. Nochmals ein Check der Reisehinweise des EDA - keine Reisewarnung. Wir werden also gehen! Wir haben heute auf dem Internet die Reiseroute angesehen Zürich - Wien - Teheran mit Überflug sowohl von Teilen Iraks wie auch Syrien. Im Moment scheint mir dies fast das grösste Risiko...
Am Abend noch kurz Modeschau gemacht: Ich hatte vor unserer letzten Reise einige Iran-konforme langärmlige, lange und bequeme Hemden besorgt, die mir ausgezeichnete Dienste geleistet hatten. Chic ist anders, aber funktionell für so eine Reise eindeutig vorzuziehen. Ich bin gespannt, wie das mit dem Fliegen wird: Da wir nicht mit Iran Air fliegen, muss ich meinen Hijab nicht bereits für das Boarding bereit haben. Ich nehme auch nicht an, dass die Damen auf dem Flug beim Eintritt in den iranischen Luftraum das Kopftuch umlegen müssen - oder doch? Dies bringt mich zur Frage, ob man in einem Österreichischen Flugzeug in Iranischem Luftraum eher in Österreich oder in Iran ist. Da ich gerade offline unterwegs bin, kann ich diese Frage auch nicht mit einer Suche im allwissenden Internet beantworten. Wir werden sehen... Das mit dem Fliegen ist ohnehin so eine Sache: ich fliege ausgesprochen ungern. Nicht nur, weil ich generell lieber mit meinen zwei Beinen auf dem Boden stehe. Sondern auch, weil mir das mit dem Fliegen häufig etwas zu schnell geht: Im einen Moment ist man in Europa und im nächsten in Übersee oder in Asien oder - wie eben bei uns - im Iran. Ganz ohne Vorwarnung oder ohne die Möglichkeit, sich an ein Land heranzutasten wird man im Unbekannten aus dem Flugzeug gespült hinein in das Wohnzimmer einer anderen Gesellschaft und Kultur... 2010 sind wir über Italien - Kroatien - Montenegro - Albanien - Griechenland und die Türkei nach Iran gereist. In den fast drei Wochen, die wir uns damals für die Reise Zeit genommen hatten, haben wir uns nicht nur Persien angenähert, sondern auch sanft und beinahe unmerklich der Kultur und den Sitten. Der Unterschied beispielsweise zwischen einem kleinen Dorf in Anatolien und einem in Iran ist nicht so gross: auch in Anatolien sind viele Frauen tief verschleiert, vor allem die älteren sind mit dem grossen, schwarzen Tschador unterwegs, und bereits ab Istanbul wird nicht mehr überall Alkohol serviert. Und Minarette stehen ja schon in Albanien und Griechenland, wenn auch die Muezzin in sunnitischen Gebieten nicht genau dasselbe rufen wie ihre schiitischen Kollegen in Iran. Vor der Reise2010 sind wir nach Iran gefahren - von dieser Reise habe ich eine Vielzahl von Fotos, unendliche viele Eindrücke und unzählige Ideen für Texte mitgebracht. Nun stehen wir wieder vor einer Reise: Eine gute Gelegenheit, in Erinnerungen zu schwelgen...
2010 sind wir quer durch die Türkei gefahren und hatten unsere letzte Nacht vor der Grenze in Erzurum verbracht. Dort haben wir unser Auto umgepackt: Kurzärmlige T-Shirts und Shorts weggepackt und stattdessen die langen Hemden und langen Hosen bereitgelegt. Die Schals – die Haare sollten zumindest in der Öffentlichkeit für die nächsten Monate verschwinden, genauso wie die Fesseln, der Hals, die Unterarme. Mir war etwas schummrig: Wir würden wir über die Grenze kommen? Welche Probleme würden wir haben? Würden die gestrengen Hüter der Moral bei unserer Passage unser verwerflichen Güter finden und beanstanden, die Geschenke, die Musik, die iPods, die Festplatten voller Filme und Songs, die Parfüm-Flacons, die Schminksachen für die Nichten, die Technik für die Neffen, meine Bücher? Neben drei Reiseführern, einigen Wälzern über Persepolis, die Achamäniden und zur sassanidischen und frühislamischen Architektur, Axworthys „Iran – Empire of Mind“ sowie einem Taschenbuch mit Byrons „Road to Oxiana“ und Elliotts „Persien“ begleiten mich zeitgenössische Sachbücher (van Gent, Schirra, Hofmann etc.) und einige Erfahrungsberichte von Exiliranerinnen. Diese liegen gut verstaut zwischen Ferdousis „Rostam“, Hafis „Divan“ und einem Bändchen mit klassischen persischen Gedichten. Obenauf gepackt eine Studentenausgabe von Herodots „Historien“ und eine Einführung in den Islam.
Vor uns werden die Pilger aus dem Bus getrieben und versammeln sich auf dem engen Platz zwischen Polizeigebäude und wartenden Fahrzeugen. Stoisch harren sie inmitten ihrer Bündel und Säcken aus – alte Männer in schwarzen Hosen und dunklen Westen über blütenweissen Hemden. Viele von ihnen tragen keine Jacke, obwohl ein empfindlich kalter Wind weht. Die Frauen in schwarze Tschadors gehüllt, die bei unachtsamen Bewegungen hie und da einen Zipfel hellen Stoff oder gar bunt gemusterte Unterkleider freigeben. N verlässt den Wagen und lässt mich alleine zurück. Mir ist unwohl und obwohl ich mich auf die Reise freue und ihr auch in freudiger Erwartung entgegensehe, fühle ich mich hier zwischen diesen Gittern der geballten Staatsmacht zu nahe... 2018: Ich habe lange gebraucht, N. davon zu überzeugen, wieder einmal in seine alte Heimat zu reisen. Zu unsicher sei es derzeit. Mit der Wahl des neuen Präsidenten Hassan Rohani, der als Nachfolger von Ahmadinedschad 2013 im Westen als gemässigt wahrgenommen wurde und mit dem Abschluss des Atomabkommens im Juli 2015 sah ich meine Chance für eigene Neuverhandlungen zum Thema mit N. gekommen und endlich, nach zähen Verhandlungen und Diskussionen stimmte er diesen Spätwinter einer neuerlichen Reise zu. Die Zeit während unserer letzten Reise war geprägt von den Unruhen nach den Wahlen von 2009 vor der Abreise und regelmässigen Drohgebärden Ahmadinedschads 2010 in Richtung Israel, den von den USA verhängten Sanktionen gegen Iran und den Diskussionen um die Inbetriebnahme des ersten Atomkraftwerks in Busher, die für den Sommer geplant war (Stuxnet verhinderte diese Inbetriebnahme für mehrere Monate). Die Sanktionen waren im täglichen Leben durchaus spürbar: die Währung verlor massiv an Wert und die Preise für die Güter des täglichen Bedarfs stiegen stark an. Ansonsten spürten wir keine grösseren Auswirkungen – die Leute blieben weiter in ihrer gewohnten Art herzlich, gastfreundlich und sehr hilfsbereit und immer daran interessiert mit uns «Westlern» in Kontakt zu treten: die Isolierung des Landes bedeutete für sie auch eine persönliche Isolation, die sie gerne und häufig mit Kontakten zu Reisenden durchbrachen. 2018 waren im Januar wiederum Unruhen im Land. Insbesondere die hohen Lebenshaltungskosten und die Arbeitslosigkeit trieben die Leute auf die Strassen: Die Kosten stiegen laufend an und die Regierung finanziere gleichzeitig Truppen in Kriegsgebieten wie Syrien und Yemen, seit Jahren bereits die Libanesische Hisbollah und neuerdings auch Schiitengruppen in Saudiarabien. Im Juni hat der US-amerikanische Präsident Donald Trump das Atomabkommen mit Iran aufgekündigt und schärfere Sanktionen angedroht. Angesichts der drohenden Verhängung neuer US-Wirtschaftssanktionen gegen den Iran, die in zwei Schritten am 6. August und am 4. November in Kraft treten sollen, büsste die iranische Währung im Juli binnen zwei Tagen 18 Prozent ein und hat damit seit Jahresbeginn fast zwei Drittel ihres Werts eingebüsst. Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu: «Der Dollarkurs ist zum Symbol der Misere geworden, ein Maß für die Verunsicherung im Land, das schwindende Vertrauen». Im April hat die Regierung den Dollarpreis auf 42'000 Rial festgesetzt und Dollar werden nur noch für den Import von wichtigen Gütern eingesetzt. Für den Umtausch von Dollar in Rial im Land selber müssen Banken oder staatlich lizenzierte Wechselstuben benutzt werden. Da jedoch die Wechselkurse auf dem Schwarzmarkt einiges besser sind, hat hier über die letzten Jahrzehnte ein blühendes Geschäft entwickelt. Sehr zum Unmut der Regierung, die in den letzten Monaten vermehrt Razzias gegen Schwarzwechsler unternommen hat und diese streng bestraft. So schreibt die Süddeutsche weiter: «Der radikale Großayatollah Naser Makarem Schirazi, 91, hat gefordert, ein paar Geldwechsler zu exekutieren, zur Abschreckung. Lange Haftstrafen drohen heute schon, auch den Kunden. Doch das hat den Preis nur noch weiter nach oben getrieben. Die Leute kaufen jetzt Immobilien, importierte Autos oder Gold, um ihr Vermögen zu retten. Aber auch diese Waren werden immer teurer». Vor einigen Tagen haben Rohani und hochrangige Militärs damit gedroht, die Öllieferungen der Golfstaaten durch die Straße von Hormus zu blockieren, falls die USA wie geplant gegen Teherans Ölexporte vorgehen. Trump täusche sich, wenn er davon ausgehe, dass Saudi-Arabien und andere Förderstaaten die Verluste am Ölmarkt wettmachen könnten, die durch die Sanktionen gegen den Iran entstünden. Worauf Trump prompt per Twitter an die Adresse Rohanis reagierte: "Bedrohe niemals mehr die USA oder du wirst Konsequenzen erleben, wie sie in der Geschichte nur wenige erlebt haben". Kurz danach sagte Rohani, die feindselige US-Politik könne "zur Mutter aller Kriege" führen. Zugleich sagte er, Amerika solle wissen, dass "Frieden mit dem Iran die Mutter allen Friedens ist". Gleichzeitig verhandeln beide Parteien derzeit über ein Treffen. Reisewarnungen für die Reise nach Iran als ganzes liegen keine vor. Es wird von der Reise in bestimmte Gebiete (Grenzgebiete zu Afghanistan und Pakistan sowie teilweise Irak) gewarnt – insgesamt beträgt die Beurteilung von heute gemäss dem Reisewarnindex von www.reisewarnung.net auf Stufe drei von fünf – was derselben Einschätzung von Reisen in die Türkei entspricht. Wir werden sehen...
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Autor"For my part, I travel not to go anywhere, but to go. I travel for travel's sake. The great affair is to move; to feel the needs and hitches of our life more nearly; to come down off this featherbed of civilization…" ArchivKategorien |