Fünf Uhr morgens ist Tagwacht, es ist noch dunkel und still. Gegen halb sechs kommt unser Fahrer und wir packen den Wagen: Wasser, eine grosse Melone, Fladenbrot. Kurz vor sechs Uhr fahren wir los in die Dämmerung. Wir folgen zuerst der Staubpiste, die zur Caravanasarai Maranjab und zum Daryatcheh-Namak, dem grossen Salzsee führt. Kurz vor Sonnenaufgang verlassen wir die Piste und fahren einen Hügel hinauf. In der Dämmerung steht ein Dromedar bewegungslos, nur ein hoher Schatten vor dem rosa eingefärbten Himmel. Es ist immer noch warm, die Wüste hat sich nicht so stark abgekühlt wie erwartet. Ein Kaninchen kreuzt unseren Weg. Die Wüste hier ist mehrheitlich von Geröll geprägt – wir befinden uns ein einem Jahrtausendealten Einzugsgebiet der erodierten Berge rund um Kashan. Der Sand liegt weiter südöstlich von uns und bildet kleine Ansammlungen und gelbe Flüsse dort, wo der Wind stark genug ist, um ihn bis hierher zu treiben. Zu Zeiten vom Schah wurden entlang dem Rand der Wüste rund um Kashan tausende von Bäumen gepflanzt, um eine Versandung des fruchtbaren Landwirtschaftsgürtels rund um die Oasen von Kashan zu verhindern. Diese trotzen bis heute dem Sand, der von den riesigen Dünen herangeweht wird – gross gewachsen scheinen sie in all den Jahren nicht zu sein, verbogen, schief im Wind und knorrig stehen sie kaum mehr als einen Meter hoch als natürliche Barriere gegen die Fluten aus Staub. Auf dem Hügel hat unsere Fahrer einen Teppich ausgelegt und wir sitzen in der Stille nach Osten gewandt und warten auf den Sonnenaufgang. Links von uns ist in der Ferne die Piste zu erkennen, langsam steigen aus dem Halbdunkel Reihen von Hügeln auf, übereinandergeschobene braungrau-dunstige Kulissen. Auf der Piste weit entfernt zuerst eine Staubwolke, dann ein Oranger Fleck: ein erster Lastwagen auf dem Weg zum Salzsee, um eine Ladung Salz abzuholen. Wir hatten am Vorabend einen der Salzfahrer kennengelernt, ein wortkarger junger Mann, der aus der Dunkelheit beim Hostel aufgetaucht ist und erst bei einem Glas Tee am Gespräch über das Leben in der Wüste und die Touristen teilgenommen hatte. Im Osten färbt sich der Himmel lachsfarben, wir warten darauf, dass die Sonne hinter dem Horizont aufsteigt, der sich endlos und seidig über den Geröllhügeln wölbt. Doch die Sonne steigt nicht zuerst als kleiner, gleissender Fleck, dann als Streifen und schliesslich als Halbkreis auf, sie ist nicht zurückhaltend und betritt nach und nach die Bühne wie ein Komparse in einem billigen Theaterstück: Nein, sie lässt uns warten und tritt plötzlich und dramatisch und kreisrund und blutrot aus dem Dunst hervor, wie eine Diva und die unangefochtene Hauptdarstellerin der Wüste. Wir fahren weiter zu den Sanddünen. Hier besteigen wir barfuss die noch kühlen Sandhügel, die sich über Kilometer hinweg unter dem stetigen Wind aus Südosten wie Wellen im Meer in endloser Langsamkeit türmen, senken, schieben und ewig vorwärts driften, ihre Form verändern, an Höhe gewinnen und schliesslich wieder in Täler zusammenfallen. Wir scheuchen eine Echse auf, die hoch auf ihre Vorderbeine aufgerichtet im Zickzack über den Sand davonflitzt. Auf einer besonders hohen Düne angelangt, erstreckt sich das ockerfarbene Meer aus Sand über viele Kilometer bis zum Horizont. Gelbe zähe Grasbüschel sprenkeln die endlosen Wellen. Dieses Gras, so erklärt uns unser Fahrer, hat wurzeln, die teilweise über hunderte von Metern auf der suche nach Feuchtigkeit durch den Sand reichen. Er gräbt eine Wurzel aus und zeigt uns kleine Verdickungen, die als Wasserspeicher dienen. Das Grundwasser reicht hier teilweise bis an die Oberfläche und wir treffen auf einige kreisrunde Wasserlöcher im Sand. An den meisten Stellen in der Geröllwüste ist das Wasser zwischen zwei und sechs Meter tief zu finden – dort jedoch, wo die Dünen sich teilweise an die hundert Meter erheben, ist das Wasser unerreichbar tief. Nach einem Frühstück aus Brot, heissem Tee und Wassermelone – alles im stetigen Wind nach kurzer Zeit mit einer feinen Sandschicht bedeckt – fahren wir in Nordöstlicher Richtung von den Dünen weg und durch ein kilometerbreites ausgetrocknetes Flussbett. Hier liegen liegen überall Lehmkugeln herum, die kleinsten Faustgross, die grösseren so gross wie Fussbälle. Diese Kugeln werden von der Natur geformt, wenn im Frühling das Wasser von den Bergen strömt und Schotterstücke über den lehmigen Boden rollt. Ist das Wasser versickert und verdunstet, bleiben die Kugeln im Wadi liegen. Im Norden von uns erstreckt sich eine weite Ebene – diese gehört bereits zum Einzugsgebiet des Salzsees und ist äusserst gefährlich, da auch jetzt noch, am Ende des Sommers, unter einer dünnen, ausgetrockneten Schicht Erde feuchter Schlamm als gefährlicher Sumpf lauert. Wir umfahren das Gebiet südlich und wenden uns erst nach Norden, nachdem wir die Piste nach Maranjab wieder erreicht haben. Hier treffen wir auf eine Gruppe von Lastwagen, die hoch gefüllt mit Salz verlassen auf der Piste stehen. Auf einem Sandhügel in der Nähe eine Gruppe Leute, die uns winken: Der Offroader kämpft sich durch den Sand hinauf und erreicht ein kleines Biwak von jungen Männern und einem halb im Sand versunkenen Peugeot. Die Fahrer der Lastwagen erklären, was geschehen ist: Die jungen Leute sind am Vortag aus Teheran hierher gefahren, um die Nacht in der Wüste zu verbringen. Offensichtlich war jedoch die Sanddrift in der Nacht so stark, dass ihr Lager versandet ist. Wo am Nachmittag zuvor offenbar nur eine dünne Schicht Sand den harten Boden bedeckt hat, türmten sich nun fast meterhohe Sandwellen auf und sie hatten keine Chance mehr, das Auto aus dem Sand herauszubringen. Glücklicherweise hatten sie Verstand genug, nicht allzu weit von der Piste entfernt zu biwakieren, so dass sie am Morgen die Lastwagenfahrer auf sich aufmerksam machen konnten. Da die Lastwagen jedoch nicht den Sandhügel hinaufkamen, war gerade entschieden worden, dass die jungen Leute das Auto stehen lassen und mit den Lastwagen zurückfahren sollten. Mit unserer Ankunft jedoch wurden die Pläne geändert und wir sollten versuchen, den Peugeot mit unserem Offroader aus dem Sand zu ziehen. Während die Fahrer sich an die Arbeit machten, ein festes Drahtseil an beiden Wagen befestigten und den Peugeot ausgruben, standen die jungen Herren – einer davon in feinen Lacklederschuhen, man stelle sich dies vor! - untätig und mit dummen Gesichtern herum. Nun tauchten auch noch ein paar Kamele auf, aus der Ferne angelockt durch das menschliche Treiben auf dem Sandhügel. Sie gesellten sich zu den jungen Männern und Mensch und Kamel betrachtete gemeinsam die Bemühungen der Arbeiter, das Auto freizukriegen. Nach einigen Anläufen gelang dies auch und der Wagen konnte zur Piste zurück gezogen werden. Die jungen Männer stiegen ein und brausten ohne Dank ab. Auch wir machten uns wieder auf. Bereits nach wenigen Kilometern erreichen wir den Salzsee. Dieser hat nur im Winter Wasser, ist im Frühjahr morastig und jetzt im Sommer völlig ausgetrocknet. Und wunderschön: über viele Kilometer dehnt er sich gelblich-weiss gemustert mit regelmässigen Hexagonen aus Salzkristallen vor uns aus. Es bläst ein stürmischer Wind aus südöstlicher Richtung – und da dieser frei von Staub ist, ist die Luft klar und die Sicht gut. Auch wenn wir nicht – wie dies nach Beteuerung unseres Fahrers bei besonders klarem Wetter der Fall sein soll – bis zum rund 300 Kilometer entfernten Damawand sehen können. Es wird schon unangenehm heiss auf der weiten Salzfläche und so fahren weiter in Richtung Karawanserai. Dieses Fort wurde 1603 gebaut und diente den Karawanen der Seidenstrasse als Schutz- und Ruhepunkt. Sie war zeitweise mit über 500 Soldaten besetzt, um einerseits die Karawanen vor Banditen zu schützen, andererseits aber auch als Vorposten gegen die immer wieder aus Afghanistan und Usbekistan einfallenden Heere. Anfang des 20. Jahrhunderts verloren die Karawanen und damit die Karawansereien an Bedeutung und auch die Karawanserei Maranjab wurde verlassen, bis in den vierziger- und fünfzigerjahren des 20. Jahrhunders von Banditen in Beschlag genommen wurde. Diese führten von hier aus über mehrere Jahre ihre Raubzüge in die Dörfer der Umgebung durch, bis Schah Reza Pahlewi die Karawanserei ausbomben liess. Zur Jahrtausendwende wurde sie schliesslich wieder aufgebaut und dient seither den Wüstentouristen als einfache aber sichere Unterkunft. Von hier aus fahren wir weiter nach Osten, wo uns der Fahrer zum Abschluss noch etwas Besonderes zeigen will: eine Kameltränke. Diese besteht aus zwei je rund fünf Meter langen Steintrögen und einem Qanat-Ausgang als Brunnen. Hier schöpfen wir mit einem Lederkessel aus rund drei Metern Tiefe Eimerweise Wasser in die Tränke. Wir schauen uns um: Kamele sind keine in der Nähe, nur weit weg am Horizont schaukeln ein paar über den Staub. Unverdrossen schöpfen wir weiter Wasser, ein Loch im Eimer, aus dem ein kühler Strahl schiesst, und uns regelrecht abduscht, sorgt für Gelächter und Ablenkung. Und da sind sie schon, die ersten, wie aus dem Nichts aufgetaucht: zwei Dromedare nähern sich und recken ihre langen Hälse in den Wassertrog. Sie trinken ausgiebig, strecken ihren Kopf die Höhe und schütteln ihn ausgiebig, so dass ihre weichen Schlabberlippen fliegen. Neugierig betrachten sie uns unter langen Wimpern hervor, blinzeln kurz und wenden sich dann wieder dem Wasser zu. Immer mehr der Tiere kommen mit wiegendem Schritt heran und schon bald drängen sich sechs, acht, zehn Kamele am Trog und immer noch kommen neue an und drücken und schieben sich zwischen die anderen, um ihrerseits an das Wasser zu kommen. Dieses wird weniger und weniger und es ist erneutes Schöpfen nötig, um den Durst der Tiere zu stillen. Doch auch der Qanat ist plötzlich leer – ein Zustand, der offenbar ungewöhnlich ist und näherer Untersuchung bedarf. So steigt unser Fahrer durch das enge Loch hinunter und untersucht den Ausgang des Qanats. Schon bald fördert er einigen Abfall und eine grosse PET-Flasche zu Tage, die den Zufluss verstopft hat. Während abwechslungsweise geschöpft wird, lernen wir mehr über die durstigen Viecher. Ein Kamel kostet hierzulande rund 20 Millionen Tuman, was rund 2000 Dollar entspricht. Auf den Karawanen führte man immer mindestens eine Kamelstute mit, welche die reichhaltige Milch lieferte, die für die Reisenden die Hauptnahrung bildete. Und die Tiere riechen oder spüren Wasser bereits von weit her. Auch sind sie ihrer Geburtsstätte stark verbunden und es treibt sie immer wieder dorthin zurück. Unterdessen ist die Sonne schon hoch und es wird immer heisser. Nach einem kurzen Abstecher zum Fuss einer besonders hohen Sanddüne (wir verzichten darauf, die rund hundert Meter zu erklimmen), fahren wir wieder zurück zum Camp, um dort am Teich im Schatten Schutz vor der Mittagshitze zu finden. Hier einige Bilder (zum Navigieren anklicken):
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24.8.2018: Nach einem Besuch der Fin-Gärten wollten wir mit der ganzen Truppe die Unterirdische Stadt Nuschabad besuchen. Dort grub die lokale Bevölkerung vor 1500 Jahren eine unterirdische Stadt aus dem Boden, die in Kriegszeiten als Zufluchtsort vor Feinden diente, aber auch bei extremen Temperaturen Schutz bot. Das gigantische Labyrinth aus Gängen und Räumen bedeckt eine Fläche von 4 km2 und reicht in drei Etagen bis zu 20 m in die Tiefe. Die Stadt war lange Zeit verschüttet und unentdeckt, bis ein Mann bei Bauarbeiten für eine Sickergrube in die Hohlräume hinunterstiess. Der Besuch ist jedoch für alle mit einer Grösse von über 1.70 Metern und/oder mit Platzangst nicht wirklich empfehlenswert – was mich leider zwang, die unterirdische Tour durch die engen und niedrigen Gänge vorzeitig abzubrechen und aus der relativen Kühle zurück an die rund 44 Grad heisse Oberfläche zu kehren. N begleitete mich und wir streiften etwas durch die Lehmgassen des Ortes. Hier sprach uns eine alte Frau im Tschador an: Ob wir Ausländer seien, ob es uns hier gefalle und überhaupt hoffe sie, dass wir uns in Iran wohlfühlten. N plauderte eine Weile mit ihr und stand ihr Rede und Antwort (Habt ihr Kinder? Warum nicht? Wo lebt ihr? Wo ist die Schweiz? Gibt es dort Regen?). Als sie danach fragte, ob ich auch arbeite, schwante mir Böses und ich gestikulierte hinter dem Rücken der alten Frau verzweifelt-verneinend Richtung N herum. Leider ohne Erfolg: N macht sich wieder einmal einen Spass daraus, herauszuposaunen, ich sei Doktor. Was er nie erwähnt, ist, dass ich nur einen Doktor in Wirtschaft habe, nicht aber ein richtiger Doktor bin. Prompt wendet sich die alte Frau mir zu, lüftet Tschador und Rock und hält mir ihr geschwollenes, dunkelrotes Bein vor die Nase: „Diabete“ meint sie. Ich schaue mir das Bein an und gebe ernst zurück: „Baleh, baleh – Ensulin darid?“ - ja, tatsächlich, und ob sie Insulin hätte. Dies bestätigt sie und erklärt mir stolz, sie nähme jeden Tag drei „Ampoule“ (Spritzen) und sie auch eine „paris“, eine Diät mache. Mit meinem erneuten „baleh, baleh“ gibt sie sich zufrieden: immerhin hat die ausländische Ärztin die Diagnose und die Behandlung bestätigt. Und ich warte darauf, dass der Blitz der Medizin-Götter auf mich herunterfährt und mich für meinen Frevel bestraft. Zu meiner Entschuldigung sei jedoch gesagt, dass wir auch schon versucht haben, den Irrtum aufzuklären. Dies ist jedoch fast gar nicht möglich, da in den Augen vieler einfacher Leute ein Doktor nun eben ein Arzt ist, und damit Basta. Nach diesem erhellenden Besuch sowohl der dunklen Unterwelt als auch der dunklen Seiten von Ns Humor fahren wir alle zusammen in die Berge südlich von Kashan in das Dorf Abyaneh. Dieser am Fuss des 3900 m hohen Karkas-Gebirges gelegene Ort ist ein Juwel überlieferter, ländlicher Architektur und wurde von der UNESCO zum kulturellen Erbe der Menschheit erklärt. Seine aus rostbraunem Lehm errichteten Häuser drängen sich sehr pittoresk an einen steilen Berghang. Sie sind so eng ineinander verschachtelt, dass viele ihrer flachen Dächer den oberhalb wohnenden Nachbarn zugleich als Hof und Terrasse dienen. Hier ist es verglichen mit Kashan angenehm kühl und wir essen in einem wunderschönen Garten mit verschiedenen Wasserläufen unter rauschenden Bäumen, bevor wir uns an die Erkundung des Dorfes machen. Nach dem Besuch in Abanyeh fuhren wir nach Kashan zurück. Hier teilten wir uns auf: Da die meisten am nächsten Tag wieder arbeiten mussten, würden sie nach Karaj zurückfahren. N und ich blieben in Kashan zusammen mit unserer Nichte Sofiya. Sie hatte von unterwegs aus die nächsten zwei Tage organisiert: Wir sollten von Kashan aus mit dem Taxi in die Maranjab-Wüste fahren und am Abend in einem Hostel übernachten. Am nächsten Tag würden wir mit einem Fahrer frühmorgens eine Tour in die Wüste starten. Wir machten uns also auf die Suche nach einem Taxi, das uns in das Hostel bringen sollte und schon bald konnte unser Wüstenabenteuer beginnen. Etwa 5 km ausserhalb von Kashan geht die Strasse in eine Piste über und man muss einen Checkpoint vom Militär passieren: ein Teil der Fahrt zum Hostel führt durch militärisches Gebiet, wo Tests für Mittelstreckenraketen durchgeführt werden. Wie zu erwarten, gibt es Schwierigkeiten, weil ich Ausländerin bin - man will mich nicht passieren lassen. Wir bestehen darauf, dass ich Iranerin bin. Schliesslich durfte ich nicht mit meinem Schweizerpass einreisen, sondern musste den iranischen verwenden. Da Iran keine Doppelbürgerschaft anerkennt, gelte ich im Land als Iranerin. So weisen wir meinen Pass vor. Das reicht jedoch nicht - man sehe ja, dass ich Ausländerin bin. So viel gesunde Logik macht mich etwas sprachlos, aber wir geben nicht auf: schliesslich habe ich ja noch mein „rotes Büchlein“ dabei. Dieses ist eines der wichtigsten Dokumente im offiziellen Leben der Iraner. Unser Gegenüber staunt, nimmt das rote Heftchen entgegen und studiert es ausgiebig. Dann schüttelt er jedoch den Kopf: wenn ich keine „Carte Melli“ hätte, dann nütze alles nicht. Die Carte Melli ist so etwas wie eine Mischung aus Identitätskarte und Sozialversicherungsausweis. Natürlich habe ich keine Carte Melli und sehe unsere Expedition in die Wüste schon gescheitert, als N und Sofiya das schwere Geschütz auffahren: Es gäbe sicher eine Möglichkeit, er solle doch mit seinen Vorgesetzten telefonieren, ja, sofort, gerade jetzt, bitte, sehr freundlich, danke. Beide reden wortreich auf den Hüter der Schranke ein, ich verstehe die Taktik und mische mich ebenfalls ein, mit den paar Brocken, die ich persisch kann: Lotfan, cheili mahmnun, taschakord - egal was, Hauptsache reden, aber nie die Höflichkeit und den Respekt vermissen lassen. Als sich unser Taxifahrer ebenfalls einmischt, und wir im Quartett alle diplomatischen Register ziehen, wird es dem Mann wohl zu viel und er zieht sich in seine Baracke zurück, um tatsächlich ein Telefon zu machen. Ich werde den Verdacht nicht los, dass er nur so tut, als ob er telefonieren würde, er murmelt etwas ins Telefon, aber insgesamt habe ich eher den Eindruck, als bräuchte er eine Pause vor uns und unserem Drängen und vor allem eine Möglichkeit, dem Ganzen Spuk ein Ende zu bereiten, ohne das Gesicht zu verlieren. Und tatsächlich lässt er uns mit einem Brummen passieren. Gerade als wir zum Wagen zurückkehren fährt ein Offroader vor, dem neben einem jungen iranischen Fahrer zwei Westlerinnen entsteigen. Noch bevor unser Fahrer den Wagen gestartet hat, sind sie abgefertigt und können ebenfalls losfahren. Später erfahre ich, dass - bucht man eine Tour in Kashan oder Teheran - im Preis die „Spezial-Gebühr“ für die Durchfahrt von Ausländern bereits enthalten ist. Bald haben wir unser Hostel erreicht, das in einer Oase liegt und sogar über einen Teich mit Fischen und über einen kleinen Springbrunnen auf der Terrasse verfügt. Hier planen wir im Schatten des Hauses und einer Brise, die sich anfühlt wie der Haarföhn auf höchster Stufe, den nächsten Tag: Wecken um fünf, Abfahrt um 5.30 Uhr, Rückkehr am Mittag - länger in der Wüste zu bleiben, empfiehlt man uns nicht, es werden gut 50 Grad erwartet. Nach einem auch für iranische Verhältnisse späten Abendessen kriechen wir nach Mitternacht in die mitgebrachten Stoffschlafsäcke. P.S.: Da Vollmond ist, überstrahlt dieser leider den ganzen Sternenhimmel, so dass man - obwohl die Lichtverschmutzung hier nur sehr gering ist - kaum einen Stern sehen kann. Dafür hat das silberne Licht des Mondes über den Sanddünen durchaus auch seinen Charme... Hier nochmals einige Fotos (anklicken zum Navigieren): Das Internet ist in Iran fest in der Hand der Regierung. Viele ausländische Dienste und Webseiten sind dauerhaft gesperrt oder werden jeweils je nach Lage der Nation ad hoc gesperrt. So sind beispielsweise Facebook, Youtube, Twitter und andere Soziale Medien in Iran nicht aufrufbar. Diverse Zeitungen und Nachrichtendienste – vorwiegend aus den USA – ebenfalls nicht. Auch mein Website-Builder Weebly ist – obwohl mit einer Schweizer Adresse verbunden – nicht aufrufbar. Neben der Sperre und der Internetzensur fährt die Regierung regelmässig die Übermittlungsgeschwindigkeit herunter. So sind dann zwar Internetseiten aufrufbar, aber die Geschwindigkeit ist so langsam, dass man das Gefühl hat, man sei grad so schnell nach Europa gereist, um die Seite vor Ort anzusehen, wie sie hierzulande geladen wird. So wird das Beobachten eines drehenden Rädchens oder eines sich mit ätzender Langsamkeit füllenden Download-Balken zu einer wahren Zen-Übung!
Zum Glück sind die Iraner in allen Lebenslagen selten um Lösungen zur Behebung der vielen Mühseligkeiten des täglichen Lebens verlegen und haben technisch aufgerüstet. Nirgends in der Welt werden wohl so viele VPN-Verbindungen verwendet, wie hierzulande. Mit teilweise bis zu drei oder vier unterschiedlichen VPN-Providern werden Daten verschlüsselt, Standort-Adressen verschleiert und den Iranischen Zensur-Mitteln vorgegaukelt, dass der Aufruf einer gesperrten Seite eben nicht aus dem Iran erfolgt, sondern über einen Server in den USA oder Europa. Auch ich bin unterdessen – dank eines unserer technikbegabten Neffen in Iran – stolze Besitzerin von drei VPNs auf meinem Handy sowie auf dem iPad geworden. Und dank dem eingebauten VPN in meinem neuen Internetbrowser Opera, komme ich nun auch wieder auf meinen Blog. Auch bezüglich Internet-Zugang und Geschwindigkeit wurde ich aufgerüstet: Eine „aufgemotzte“ iranische SIM-Karte mit gefühlten tausend Gigabite sorgt – über das iphone mit dem Computer verbunden – für durchaus annehmbare Geschwindigkeiten. Sofern überhaupt ein Handy-Empfang besteht, versteht sich... An dieser Stelle meinen herzlichen Dank an meinen technikbegabten Neffen Marc in der Schweiz, der spontan eingesprungen ist und einige Texte während meiner zensurbedingten Blogabwesenheit publiziert hat! Die Technik für die Internetzensur hat Iran übrigens ganz legal von Nokia Siemens Network gekauft. Nokia Siemens Networks behauptete, dass das System nur die Funktionalität zur Überwachung illegaler Vorgänge besitze. Trotzdem kritisierte das Europäische Parlament Nokia/Siemens im Jahr 2010 scharf für die Lieferung von für Zensur und Überwachung notwendige Technologien an die iranischen Behörden, die der Verfolgung und Verhaftung iranischer Dissidenten dienen. Ebenfalls wird Technik von der US-amerikanischen (sic!) Firma Secure Computing entwickelte Content-Control Software Secure Computing eingesetzt. Secure Computing gab an, die Software nicht an den Iran verkauft zu haben, die Behörden nutzten die Software illegal ohne Lizenz. Jeder Internetdienstanbieter (ISP) muss vor seiner Inbetriebnahme von der Telecommunication Company of Iran (TCI) und dem Ministerium für Kultur und Islamischer Unterweisung bewilligt werden. Die Verwendung von Filtersoftware für Websites und E-Mails ist vorgeschrieben. Laut iranischen Pressemitteilungen hat die Regierung für die ISPs 2003 eine Liste mit 15.000 zu blockierenden Seiten erstellt. ISPs werden bei Nichteinhaltung der Filterbedingungen zu hohen Geldstrafen verurteilt. Im Jahre 2013 wurde bekannt, dass die Regierung ein eigenes Intranet für Iran plane, das 2015 in Betrieb genommen werden sollte und den Iran vom Globalen Internet komplett abkoppeln sollte. Dies ist bis heute jedoch nicht der Fall. Übrigens hätte ich gerne noch das eine oder andere weitere Kluge zum Thema gesagt. Dafür hätte ich aber Unterstützung aus dem Netz benötigt. Es darf dreimal geraten werden, was passierte, als ich die Suche „Internetzensur im Iran“ in Google eingab: Genau, die Seite wurde gesperrt. 22.8.2018 - Kashan Kashan liegt am Rande der Dast-e-Kavir im persischen Hochland. Die Stadt ist bereits seit vielen Tausend Jahren bewohnt - Ausgrabungen in Tepe Sialk fanden sich Häuser aus dem 6. Jahrtausend v. Chr., einige der ältesten Zeugnisse von Metallgewinnung aus dem 4. Jahrtausend, protoelamitische Schrifttafeln, Rollsiegel, Keramiken aus dem 3. Jahrtausend und eine von vier bekannten elamitischen Zikkurats. Im Mittelalter war Kashan vor allem für seine Keramik berühmt: Der persische Name für Keramik, „Kashi“, leitet sich von Kashan ab. Hier wurden bereits sehr früh die glänzenden Kacheln in Blau und rosa hergestellt, welche vor allem für Innenräume wie etwa Gebetsnischen in Moscheen verwendet wurden: Der Glanz der Kacheln muss im flackernden Schein der Öllampen eine ganz besondere Lebendigkeit gehabt haben. Die Keramikproduktion verlor im laufe des 14. Jahrhundersts an Bedeutung - sie wurde abgelöst durch Textilproduktion. Kashan liegt neben Kerman, Yazd, Isfahan und Qom an der südlichen Seidenstrasse und gehörte neben Yazd und Isphahan im 16. und 17. Jahrhundert zu den wichtigsten Zentren der Prodiktion persischer Brokat- und Seidenstoffe. In ihrer Blütezeit wurden Seidenstoffe mit Abbildungen aus der persischen Literatur im Stil der Miniaturmalerei hergestellt. Im 16. Jahrhundert etablierte der kunstsinnige Safawidenkönig Abbas I. der Grosse (1587–1529) - er gilt als einer der bedeutendsten Förderer der Persischen Kunst, insbesondere der Teppichknüpfkunst - die ersten Teppichknüpfmanufakturen, die bald zu höchster Blüte gelangten. Wie bei vielen anderen Perserprovenienzen auch, ist der Ort Kaschan Stapelplatz und daher Namenspate für alle im Umland geknüpften Teppiche. Die Sammelbezeichnung erstreckt sich auf etwa achtzig Dörfer und Flecken. Kaschan-Teppiche gehören zu den besten klassischen Orientteppichen. Die Knüpfung erfolgt mit dem persischen Knoten, nicht mit dem bei Perserteppichen weit verbreiteten türkischen Knoten. Die Knüpftechnik geht vermutlich auf die Seldschuken und deren Invasion im 11. Jahrhundert zurück. Kashan ist auch berühmt für sein Rosenwasser. Hier ganz in der Nähe - in Qamsar - liegt das Zentrum der orientalischen Rosenwasserproduktion. Die Kaaba in Mekka wird jährlich einmal mit Rosenwasser aus Qamsar gewaschen. Die Rosen für das Wasser stammen aus den Rosengärten rund um Kashan und die Rosenblüten werden im Mai und Juni geerntet. Anschliessend werden sie in grossen Kupferkesseln gekocht und der Dampf über ein Rohrsystem in wassergekühlte Kupferkannen geleitet, aus denen das halbfeste Rosenöl abgeschöpft wird. Kashan ist über den Handel und seine Lage an der Seidenstrasse zu erheblichem Reichtum gelangt. Davon zeugen diverse traditionelle Häuser, die einst wohlhabenden Kaufleuten gebaut wurden und von denen einige besucht werden können oder welche zu Hotels umgebaut worden sind wie etwa das Abbasi-Haus, das Boroujerdi-Haus oder das Haus der Tabatabai oder der Fin Garten (Bagh-e-Fin). Interessanterweise findet sich in keinem meiner historischen Reiseberichten eine ausführliche Beschreibung von Kashan – weder unter dem aktuellen Namen noch unter der Schreibweise Keshan oder Cassan. Offenbar liessen die Reisenden des 18. und 19. Jahrhunderts die Stadt links liegen und reisten so schnell wie möglich weiter nach Sin-Sin und Qom. Die einzigen Einträge, die sich finden, sind der Hinweis auf äusserst viele Skorpione und die Feigheit der Kashani. Diese ist heute noch sprichwörtlich: Man sagt, der mutigste Bewohner der Stadt sei der Strassenköter hinter dem Bazar. Man erzählt sich, dass ein Regiment von Kashani nach seiner Entlassung aus dem Kriegsdienst Begleitschutz (!) für die Heimreise nach Kashan verlangt habe. Hier einige Bilder (anklicken zum Navigieren): 22.8.2018: Abreise nach Kashan
Eines meiner Ziele während dieser Reise war es, Kashan zu besuchen. Hier hatten wir 2010 leider nur einen kurzen Halt eingelegt und die Fin Gärten besucht. Anschliessend sind wir direkt nach Isfahan weitergereist - insbesondere N ist nicht wirklich warm geworden mit Kashan, einer Wüstenstadt, die ihre schönen Seite sehr erfolgreich hinter hohen, staubigen Lehmmauern versteckt. Es ist beschlossene Sache, dass uns die Hälfte der Familie begleiten wird. Natürlich habe ich nichts dagegen - es wird vermutlich sehr chaotisch und anstrengend, aber sicher auch lustig. Die Planung sieht vor, dass wir in zwei Autos nach Kashan fahren - wir haben Glück, und in dieser Woche ist der Mittwoch ein Feiertag, und da der Freitag Freitag ist, kann der Donnerstag als Brücke benutzt werden. Es ist geplant, dass wir am Mittwoch nicht in Kashan sind, sondern direkt weiterfahren in die Wüste, um mindestens eine Nacht dort zu verbringen. Am Freitagabend wird der grösste Teil der Familie wieder zurück nach Karaj fahren und wir noch ein oder zwei Tage in Kaschan verbringen. Dass das vorher ausgehandelte Programm kurzfristig umgestossen wurde, erfahre ich, als wir kreuz und quer durch Kashan fahren und uns „Appartmans“ ansehen - Zimmer, die meist von Privatleuten angeboten werden und über Bad, Wohnzimmer und Küchenzeile verfügen. Als die Worte „Emschab“ und „do rus“ fallen, werde ich misstrauisch: Natürlich wurde das Programm kurzfristig geändert: „Kavire garm hasd“ und „to chaste schodi“ - die Wüste ist heiss und Du bist müde. N hat vergessen, mich über die Planänderung zu informieren, die über diverse Telefonische Kontakte auf der Herreise zwischen den beiden Autoparteien ausgehandelt worden war. Warum bin ich nicht wirklich überrascht? Mir spielt es ja eigentlich nicht wirklich eine Rolle. Aber: es ist auch N klar, dass ich mich nicht von Kashan wegbewegen werde, bevor ich nicht in der Wüste war - grins! Natürlich werden diverse schöne grosse Appartmans als mögliche Unterkunft verworfen – einerseits findet sich vielleicht noch etwas besseres, zentraleres, andererseits könnte bei entsprechender Zurückhaltung noch etwas beim Preis herausgeholt werden. Und natürlich sind wir nicht die einzigen Interessenten an diesem Feiertag und am Ende bleibt nur eine etwas spärliche Unterkunft in der Nähe der Fin-Gärten übrig. Man wird sich schliesslich – nach vielem hin- und her und einem ziemlich unfreundlichen Fauchen von N, der offensichtlich hungrig ist - handelseinig und die Familie fängt an, Essen, Decken, Picknickkörbe, Taschen und Getränke auszuladen und auf die beiden erfolgreich gemieteten Zimmer zu verteilen. Wir richten uns also mit acht Erwachsenen und zwei Kindern auf gut 20 Quadratmetern ein, stellen den scheppernden „Cooler“ ein und trinken zuerst einmal ein Glas Tee. Ach ja: es gibt zwei Doppelbetten und eine schier unbegrenzte Anzahl Schlafmatten, die säuberlich zusammengefaltet darauf warten, auf die Nacht hin aufgerollt zu werden und uns allen einen Schlafplatz zu garantieren... Anschliessend fahren wir in die Stadt und spazieren durch den mittlerweile schon fast menschenleeren Basar. Abendessen gegen 22 Uhr in einem öffentlichen Park auf einer Anhöhe vor Kashan mit schönem Blick auf die beleuchtete Stadt bei angenehmen 36 Grad auf traditionell-persische Art als Picknick. Am Mittag haben uns unsere Nichten aus dem Haus getrieben: Einkaufen war angesagt. Also den Schal umgelegt und los - ich bin erstaunt, wie locker die jungen Frauen hier Nahe der Hauptstadt mit den Kleidervorschriften umgehen: Der Manteau - bei unserem letzten Mal hier noch bis oben zugeknöpft - hängt nun offen und locker von den Schultern. Darunter trägt Frau nun Bluse, T-Shirt und ähnliches und statt die langen, eher unförmig geschnittenen weiten Hosen bestimmen Leggins und sogar Capri-Leggins die Beinbedeckung. Der Schal ist locker über den Haarknopf drapiert, hängt fast einem Haarteil gleich über die Schultern. Haare und Hals sind weit davon entfernt, bedeckt zu sein. Die Schuhe sind offen, die Nägel lackiert, die Fesseln und häufig auch die Unterschenkel zeigen nackte Haut und ab und zu sogar ein Tatoo. Offensichtlich haben wir wieder eine „milde Phase“ erwischt, eine Zeit, wo die Sittenwächter weniger streng durchgreifen und die Frauen sich die Freiheit ausnehmen können, die islamischen Kleidervorschriften zu dehnen und strecken wie amerikanischer Kaugummi. Was für ein erfreulicher Unterschied gegenüber dem letzten Mal als wir hier waren! Zwar sass auch damals das Kopftuch etwas lockerer, aber offene Schuhe, Leggins ohne geschlossenem Mantel bis zu den Kinien oder sogar nackte Unterschenkel war vor 8 Jahren noch völlig undenkbar!
Unsere beiden Nichten schleppen uns zielgerichtet in ein Kleidergeschäft, welches sich unter anderem auf schicke Manteaus spezialisiert hat: Sie haben es sich in den Kopf gesetzt, ihrer Sana‘Dei, ihrer Tante aus der Schweiz einen modernen Hijab zu verpassen: Mantel, Hemd und Hose wollen gekauft sein. Mir schwant einiges: Ich entspreche mit meinen über 1.80 Metern, den Hüftringen und meinem sich allzu bereitwillig gravitationsbedingt Richtung Knie aufgemachten Bauch und Hinterteil nicht wirklich dem iranischen Mannequin: Die meisten Frauen erreichen kaum 1.65 Meter und wer mit dieser Körpergrösse als Dick gilt, erreicht dennoch kaum eine Europäische 44. Die hübsche - und natürlich mit iranischen Model-Massen gesegnete - Verkäuferin blickt zu mir hinauf und überlegt sich wohl, wie sie meinen Nichten möglichst höflich klarmachen kann, dass für dieses Ungetüm von Frau höchstens ein Mantel, keineswegs jedoch eine Hose oder eine Bluse zu finden sein wird. Ich lächle sie fröhlich an und erlöse sie mit einem beruhigenden „no Problem“. Die jüngere meiner Nichten hat sich jedoch bereits in den Kopf gesetzt, dass ich eine elegante Leinenhose probieren soll. Ein schönes Stück - aber ich sehe schon von weitem, dass sie nicht nur zu eng wäre, sondern auch lächerlich kurz. Ich lasse mich dennoch dazu überreden, sie zu probieren, natürlich mit dem erwarteten vernichtenden Ergebnis. Aber einen hübschen Mantel finden wir und am Ende sind wir alle zufrieden... Gestern angekommen: der Flug war problemlos, entgegen den Informationen auf dem Interne zur Flugroute sind wir nicht über Nordsyrien und Irak geflogen, sondern über die Türkei und Armenien. Erst südlich von Eriwan änderte man Kurs und steuerte die Iranische Grenze an. Kurz bevor das Flugzeug über Nordiran in den Sinkflug ging, entstand Bewegung beim weiblichen Teil der Flugpassagiere: Die Gepäckaufbewahrungen wurden geöffnet, Handkoffer hervorgeholt, „Manteau“ und Schals herausgesucht und es dauerte nicht lange, bis sich lange Schlangen vor den Toiletten bildeten: Enge T-Shirts, ausgeschnittene Blusen, kurze Röcke mussten ausgetauscht werden gegen die den islamischen Kleidervorschriften entsprechende Damenkleidung. Kurz vor der Landung waren Haare und Nacken ordentlich bedeckt und die höfliche Damenstimme, welche die Passagiere nach der Landung auf dem Weg zum Terminal die Fluggäste auf persisch und Deutsch auf die geltenden Kleiderbestimmungen aufmerksam machte, wäre gar nicht nötig gewesen. Ich hatte meinen Schal kurz vor der Landung ebenfalls ordentlich um den Kopf geschlungen - in bester Grace-Kelly-Mainier, nur nicht so elegant - und meine Stirnfransen versteckt.
Bei der Einreisekontrolle: Da wir mit iranischen Pässen einreisten, stellten wir uns in die Schlange der Einheimischen - bei den Schaltern für Ausländer standen lediglich eine Handvoll Leute, die zügig und unbürokratisch eingelassen wurden. Auch bei uns lief alles gut - der Beamte warf einen eher gelangweilten Blick auf den Pass von N und gab ihn sofort zurück. Mit meinem Pass nahm er sich seine Zeit, blätterte nach vorne und wieder nach hinten, tippte irgendetwas in den Computer, schüttelte den Kopf, tippte weiter - klackklackklack - startet angestrengt in den Monitor und verzog das Gesicht. Ich wurde langsam nervös, versucht aber, in gleicher stoischer Ruhe und ohne eine Miene zu verziehen wie N, dem Treiben gegenüber scheinbar völlig unbeteiligt zu wirken. Endlich schien er mit dem Resultat wenn nicht zufrieden, dann doch wenigstens soweit befriedigt, dass er mir den Pass mit einem letzten stechend-forschenden Blick wieder zurück gab. Beim Zoll: Die Vorschriften sehen eigentlich vor, dass man sich, ist man nicht in den letzten acht Monaten bereits einmal eingereist, durch die „rote Linie“ folgen sollte - dies ist der Weg, den auch jene zu gehen haben, die etwas zu verzollen haben. Kurz vor der Entscheidung, ob nun rot oder grün, sprach uns ein Zöllner an, woher wir kämen und winkte uns durch die grüne Spur, nachdem er gehört hatte, wir kämen aus der Schweiz. Offenbar nahm er an, dass wir weder illegale Waren noch Waren zum Verzollen mitbrächten, wenn wir aus der Schweiz kommen. Womit er natürlich zumindest in meinem Fall auch vollkommen recht hatte! In der Ankunftshalle dann grosses Hallo! Eine Nichte mit ihrem Mann ist gekommen, um uns abzuholen - wir werden sehr herzlich begrüsst und mir wird ein riesiger Blumenstrauss in die Arme gedrückt. Schon bald ist das Gepäck im kleinen Wagen verstaut und wir fahren los. Welcome to Iran! Die Freude bei Ns Familie ist gross über unsere Ankunft. Alle sind sie da und warten auf uns - die Schwestern von N, die Nichten und Neffen, die Kinder und die Ehemänner. Die Frauen umarmen und küssen uns, die Männer umarmen N und küssen ihn, und wenden sich mit der Hand auf dem Herz mir zu und begrüssen mich ebenfalls: ohne Handschlag, ohne Berührung und auf sicherer Distanz aber mit viel Freude und Ehrerbietung. Es ist nicht üblich in Iran, dass sich Männer und Frauen die Hand zur Begrüssung geben. Eine Sitte, die auf den ersten Blick vielleicht etwas unhöflich und frauenfeindlich wirkt. Und es oft wohl auch ist. Aber nicht in unserer Familie: Es ist unverkennbar, dass die Herren sich über meine Anwesenheit freuen, sie strahlen über das ganze Gesicht, verbeugen sich mehrmals mit der Hand auf dem Herzen und heissen mich mit eleganten Phrasen willkommen. Die jungen Neffen hingegen scheren sich nur halb um die Regeln, packen meine Hand und schütteln sie energisch-freudig und wünschen „Welcome to Iran - Chosch Amadi! We are very happy to see you!“ Und die jungen Frauen werfen sich mir mit einem Aufschrei um den Hals, drücken und küssen mich und plaudern fröhlich drauflos, persisch, englisch, deutsch, alles durcheinander, genau so wie meine Antwort: keiner versteht mein babylonisches Mischmasch - aber wen schert es! Um 7.10 Abflug von Zürich, Zwischenstopp in Wien. Nun sitzen wir im Flieger nach Teheran - Iran hat bereits in der Abflughalle in Wien beim Gate G 16 begonnen: Die Iranerinnen und Iraner sind in der Mehrzahl. Einige führen letzte Telefongespräche - lautstark unterhalten sie sich mit dem Handy, das sie ausgestreckt vor sich hin tragen und jeweils in die Runde schwenken, um ihren videotechnisch nähergebrachten Nächsten möglichst viel von der Umgebung zeigen zu können. Einige offensichtlich gutbetuchte ältere Herr- und Damenschaften werden mit einem Golfwagen direkt zum Gate gefahren und einem jungen Mann übergeben, der offensichtlich weiss, wer wann wohin gehört. Grund für diverse ältere Damen, die bereits seit mindestens 20 Minuten alle am Gate ankommenden gefragt haben, ob hier wirklich der Flug nach Teheran starte, den jungen Mann ebenfalls zu belagern und sich ein weiteres Mal darüber zu versichern, dass sie wirklich und wahrhaftig am richtigen Ort sind.
Eine zarte ältere Frau setzt sich mit einem zurückhaltenden Lächeln neben uns. N. wendet sich ihr zu und beginnt eines dieser wunderbar-kompliziert-höflichen Gespräche, wie sie unter Iranern üblich sind und von denen ich nie genug bekomme, sie zu beobachten: Nach einem ersten „Bitte schön, ist es erlaubt?“ und einem mit einem höflichen Lächeln begleiteten „natürlich, bitte setzen Sie sich, Madame“, folgt die erste Runde: „Wie geht es Ihnen, ich hoffe, gut?“, was die Antwort erfordert „Vielen Dank für Ihre freundliche Nachfrage, und Ihnen, ich hoffe, es geht Ihnen ebenfalls gut, Madame?“, was zu „Sie sind zu nett, so freundliche nachzufragen, ja danke, es geht gut!“. Dann geht es in die zweite Runde: „Darf ich vielleicht nachfragen, bitte, Sind sie auch Iraner?“ - diese Nachfrage ist unbedingt nötig, auch wenn das Gespräch bisher in schönstem Hoch-Persisch geführt wurde - denn man befindet sich schliesslich im Ausland. „Ja, natürlich, fühlen Sie sich frei, zu fragen! Ja, ich bin auch Iraner. Bitte entschuldigen Sie die Aufdringlichkeit, aber fliegen Sie nach Hause zurück oder leben Sie in Europa?“ Diese Frage ist nicht nur dazu da, beantwortet zu werden, sondern sie lädt dazu ein, zu erzählen. Von den Kindern in Österreich, die besucht worden waren, davon, dass sie die Zeit sehr genossen habe, aber doch alles sehr ungewohnt und fremd gewesen sei und sie nun - obwohl sehr traurig, da sie die Kinder nun einige Zeit nicht mehr sieht - wieder nach Hause in den Norden kann, wo ihre anderen Kinder leben und sie auch. Sie zeigt N. Ihr Ticket und bittet ihn etwas beschämt, ihr zu übersetzen, was auf dem Boarding Pass steht. Er übersetzt es ihr und es wird klar, dass die nette ältere Frau nicht viel anzufangen weiss mit den lateinischen Buchstaben. Sie hat weder Deutsch noch Englisch jemals sprechen gelernt, geschweige denn zu schreiben. Die Reise nach Europa muss eine riesige Herausforderung sein für sie. Wohl wurde sie wahrscheinlich von ihren Verwandten in Teheran und in Wien so weit wie es nur möglich war, ins Innere des Flughafens begleitet, aber im Grenzgebiet zwischen der Scheibe der Abflughalle und der Scheibe in der Ankunftshalle war sie inmitten des aviatischen Grenzgebietes ganz auf sich alleine gestellt. Ihre Verwandten haben sie wohl in bester persischer Manier verabschiedet: Im unerschütterlichem Vertrauen in die Hilfsbereitschaft der eigenen Landsleute im Abflugsbereich und mit so vielen Ratschlägen, Anweisungen und Aufmunterungen dass sie wohl vollends konfus geworden wäre, wäre sie nicht eine Iranerin sondern eine Europäerin - der Herr wird es schon richten, insch‘Allah! Nach dem Aufkünden des Atomabkommens mit Iran durch die USA hat sich die politische Situation in Iran im laufe der letzten Tage zugespitzt. Zuerst wurde Wirtschaftsminister Massoud Karbassian am Sonntag mit einer Vertrauensabstimmung abgesetzt. Die Debatte wurde in einem ausführlichen Beitrag in den staatlichen Nachrichten gezeigt und die einzelnen Voten zeigte eine äusserst grosse Unzufriedenheit vieler Parlamentarier mit der Regierung. Bereits Anfang August wurde auf dieselbe Weise der Arbeitsminister abgesetzt. Und vorgestern wurde der Präsident höchstselbst vor die „Madschlis“, das 250 Abgeordnete umfassende Parlament zitiert. Er sollte den Parlamentariern die Fragen erklären, weshalb es mit der Wirtschaft immer weiter bergab geht, warum die Arbeitslosigkeit im Land immer weiter ansteigt und wie es mit dem Land mit den Sanktionen weitergehen soll. Aufklärung wurde vom Parlament auch über den vermutlich von Revolutionsgardisten organisierten Schmuggel verlangt. Wirklich beantworten konnte der Präsident jedoch keine der Fragen befriedigend. Als Hassan Rouhani eine "amerikanische Verschwörung" für die sich zuspitzende Krise in seinem Land verantwortlich machte, brachen die Abgeordneten in lautes Hohngelächter aus.
Die Antworten des Staatspräsidenten auf seine Fragen wertete das Parlament als unzureichend, weshalb die iranische Justiz, ein Machtinstrument der konservativen Hardliner, nun prüfen soll, ob die Rouhani-Regierung gegen iranische Gesetze verstossen hat. Sollte dies der Fall sein, wären die Weichen für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Hassan Rouhani in der Teheraner Madschlis gestellt. Ob es jedoch schliesslich dazu kommen wird, ist noch offen: Noch hat der oberste Führer Ali Khamenei – der „Rahbar“ (Führer) und alleiniges Staatsoberhaupt des Iran – den Daumen nicht über Rouhani gesenkt. Die beiden Geistlichen sind seit Jahrzehnten gut befreundet. Ein demütigendes Amtsenthebungsverfahren will der iranische Revolutionsführer Rouhani daher wohl ersparen. Unterdessen hat er sich auch zum Atomabkommen geäussert: Er sprach sich für eine Fortsetzung der Bemühungen aus, das Abkommen gemeinsam mit den Europäern zu retten, äußerte sich aber skeptisch zu den Erfolgsaussichten. Die iranische Regierung sollte "bei Fragen wie dem Atomabkommen oder der Wirtschaft ihre Hoffnung nicht auf die Europäer setzen", erklärte er. "Wir müssen ihre Versprechen mit Skepsis bewerten." In politischen Fragen hat Khamenei im Iran das letzte Wort. Verhandlungen mit der Regierung in Washington schloss er erneut aus. Derweil wurde bekannt, dass der Geheimdienst mehrere ausländische Spione verhaftet habe. Dies wird hierzulande als Versuch gewertet, von den wirtschaftlichen Problemen abzulenken. Auch die Berichte zur Korruptionsbekämpfung wie etwa der über 10minütige Bericht diese Woche in den Nachrichten des iranischen Staatsfernsehens über ein Gerichtsverfahren gegen drei der Korruption angeklagte Beamte, werden mit Achselzucken abgetan: Die grossen Fische würden ohnehin nicht angetastet. Und die Meinung zu einem möglichen Absetzungsverfahren gegen Rouhani oder die Absetzung verschiedener Minister? Diese ist bei den Leuten, mit denen wir gesprochen haben ziemlich klar: Diejenigen, die nachrücken werden, sind mit Sicherheit nicht besser... P.S.: Meine Bitte, doch einmal die Nachrichten des iranischen Staatsfernsehens sehen zu dürfen, wurde mit etwas Verwunderung quittiert – die meisten Iranerinnen und Iraner schauen schon längst nur noch die Nachrichten ausländischer Fernsehkanäle an. |
Autor"For my part, I travel not to go anywhere, but to go. I travel for travel's sake. The great affair is to move; to feel the needs and hitches of our life more nearly; to come down off this featherbed of civilization…" ArchivKategorien |